Geschuldete Fortdruckgeschwindigkeit einer Bogendruckmaschine

(Bild: shutterstock/Guy Shapira)

Die Frage, ob eine Bogendruckmaschine nach dem Stand der Technik die im Verkaufsprospekt angegebene maximale Bogengeschwindigkeit von 18.000 Bogen pro Stunde im Schöndruck beziehungsweise 15.000 im Wendebetrieb erheblich verfehlt, sollte in einem umfangreichen Gerichtsgutachten geklärt werden. Dabei ist vor allem ein fachlicher Erwartungshorizont zu Grunde zu legen, wie es im Beweisbeschluss des Gerichts steht. 

Unser Sachverständiger war in diesem zehnjährigen Verfahren bis zum Ende tätig, nachdem zuvor ein Kollege wegen Befangenheit vom Gericht abgelehnt wurde, und dessen Ergebnisse nicht verwertet werden konnten.

Anzeige

Erste Beweiserhebungen

Im Rahmen eines ersten selbständigen Beweisverfahrens wurden vom damaligen Sachverständigen die störungsfreien Fortdruckgeschwindigkeiten an der streitgegenständlichen Bogendruckmaschine über einen definierten Zeitraum aufgenommen. Dabei wurden drei verschiedene Papiere von 60 g/m², 80 g/m² und 135 g/m² bedruckt, sowohl im Schöndruck als auch im Wendebetrieb (Schön-/Widerdruck). Das leichteste Papier zählt zu den Dünndruckpapieren.

Die pro Druckjob bei maximal möglicher Produktionsgeschwindigkeit gelieferten Nettobogen wurden über der Ausführungszeit ausgewertet und daraus die Netto-Bogenproduktionsleistung ermittelt. Man kam damals für die beiden dünnen Papiere auf eine Minderleistung von etwa 27 % bezogen auf den vom Erstgutachter zu Grunde gelegten technischen Erwartungshorizont von 85 %, wiederum bezogen auf die maximal mögliche Produktionsgeschwindigkeit laut Verkaufsprospekt.

Bedingt durch verringerte Waschintervalle und verbunden mit dem Einsatz von größeren Mengen an Druckbestäubungspuder wurde der technische Erwartungshorizont für die maximal mögliche Fortdruckgeschwindigkeit um 10 % reduziert, bezogen auf 85 % der Maximalgeschwindigkeit. Trotzdem wurden nach Feststellung des Erstgutachters der technische Erwartungshorizont für die Fortdruckgeschwindigkeit nach dem Stand der Technik für die beiden dünnen Papiere sowohl im Schöndruck als auch im Wendebetrieb (Schön-/Widerdruck) nicht erfüllt.

Dem Gericht genügten für eine Entscheidung und die Bewertung der Minderleistung diese Erhebungen alleine nicht, zumal sie ausschließlich an der streitgegenständlichen Bogendruckmaschine gewonnen und keine Vergleiche mit Wettbewerbsmaschinen angestellt wurden.

Weiteres Gerichtsverfahren

Im Rahmen eines weiteren Gerichtsverfahrens wurde nun unser Sachverständiger damit beauftragt, anhand der Ergebnisse des Erstgutachters und anhand weiterer Erhebungen an vergleichbaren Bogenoffset-Druckmaschinen der Wettbewerber der Klagepartei, die Fortdruckgeschwindigkeiten im Rahmen einzelner Druckproduktionen für unterschiedliche Papiere (von dünn bis dick) zu bewerten.

Verglichen und bewertet werden sollten diese Ergebnisse dann mit denen des Erstgutachters. Entsprechend dem Beweisbeschluss ist bei der Bewertung der Stand der Technik aus einem fachlichen Erwartungshorizont heraus heranzuziehen. Die erzielte Druckqualität sollte als in Ordnung betrachtet werden, Fehlbogen, Maschinenstopper und auch Maschinenverschleiß sind in die Bewertungen einzubeziehen.

Weitere definierte Vorgaben für die zu erzielenden Fortdruckgeschwindigkeiten, abhängig vom jeweiligen Druckprodukt, wurden im Beweisbeschluss nicht getroffen.

Leistungsgrundlagen des BVDM

Für die Bewertungen wurden nun die „Kosten- und Leistungsgrundlagen für Klein- und Mittelbetriebe in der Druck- und Medienindustrie“ (Herausgeber: Bundesverband Druck und Medien e.V., BVDM, Berlin) herangezogen. Dort sind für die entsprechenden Maschinenklassen und -konfigurationen und abhängig vom Papiergewicht bei Schöndruck bzw. Schön-/Widerdruck die effektiven Fortdruckleistungen aufgelistet. Von einem zweischichtigen Druckbetrieb wird ausgegangen.

Für diese Bogenmaschine der Achtzehntausender-Klasse wird für Dünndruckpapier bis 69 g/m² eine Fortdruckleistung von 11 300 Bogen pro Stunde (ohne Wendung) und 9200 Bogen pro Stunde mit Wendung angegeben. Bei Papier bis 150 g/m² beträgt die zu erwartende Fortdruckleistung entsprechend 13 300 Bogen pro Stunde beziehungsweise 10 800 Bogen pro Stunde.
Die durchschnittliche Erfüllungsrate entsprechend diesen BVDM-Vorgaben liegen für die ermittelten Fortdruckgeschwindigkeiten des Erstgutachters bei 91 %, also deutlich oberhalb der vom Erstgutachter ermittelten durchschnittlichen Erfüllungsrate in Höhe von etwa 75 %, bezogen auf die 85 % der maximalen Maschinengeschwindigkeit. Die Erfüllungsraten zweier vergleichbarer, alternativer Bogendruckmaschinen, ähnlichen Baujahrs und ähnlicher Bauart, lagen bei rund 50 % bzw. 56 %, also deutlich niedriger als bei der streitgegenständlichen Bogendruckmaschine.

Urteil und Berufung

Das Landgericht schloss sich allen Ergebnissen unseres Sachverständigen an, hielt diese für nachvollziehbar und plausibel, Zweifel wurden nicht erhoben. Entsprechend fiel das Urteil aus, dass nämlich keine Minderleistung von durchschnittlich deutlich über 30 % an der streitgegenständlichen Maschine vorlag. Die betroffene Druckerei, also die Klägerin, ging in Berufung zum Oberlandesgericht mit dem Ergebnis, dass das Urteil aufgehoben wurde und es zu einem Vergleich kam. Begründet wurde dies vom OLG unter anderem damit, dass nicht geklärt wurde, „…auf welcher Grundlage die vom BVDM veröffentlichten Zahlen beruhen und ob sich daraus eine durchschnittliche Beschaffenheit der Maschinen ergibt. Auch ist zu berücksichtigen, dass ein Mangel wohl nicht bereits dann vorliegt, wenn der vom BVDM veröffentlichte Wert unterschritten wird, nachdem es sich um Durchschnittswerte handelt…“.

In Anbetracht der komplexen Materie (so das Oberlandesgericht), der erheblichen Kosten bei Fortführung der Beweisaufnahme und der Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Frage, ob ein Mangel vorliegt, kam es nach etwa zehn Jahren zu einer gütlichen Einigung zwischen den beteiligten Parteien.

Zusammenfassung

Trotz umfangreicher und aufwendiger Untersuchungen, Recherchen und Auswertungen, auch unter Zuhilfenahme der Zahlenwerke des BVDM, hat das Berufungsgericht letztendlich die vergleichende „Notbremse“ gezogen und die Parteien zu einer gütlichen Einigung bewegt. Für die Branche wäre hier ein Urteil sicherlich wegweisend und auch von großem Interesse gewesen, um genau die Frage der Produktionsleistung und Fortdruckgeschwindigkeit höchst richterlich geklärt zu haben. Geklärt ist nur die Tatsache, dass diese Bewertungen der Fortdruckgeschwindigkeiten nichts mit einer Maschinenabnahme zu tun haben, was einzelne Privatgutachter der Klägerin anders sahen.

Der Gutachter

Dr. Colin Sailer, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Druckmaschinen, Offset- und Tiefdruck, berichtet aus der Praxis. Er betreibt ein Ingeni­eur- und Sachverständigenbüro.

colin.sailer@web.de
Tel.: 089/69388594
www.print-und-maschinen­bau.de

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.