„Digitaler“ Berufsschulunterricht hat noch viele Hürden zu überwinden
von Redaktion,
Derzeit ist der Alltag in den Berufsschulen gekennzeichnet von Hygienevorschriften, zahlreichen neuen Herausforderungen – und Unsicherheit, die bei Lehrkräften und Schülern gleichermaßen allgegenwärtig ist. Wir müssen uns gerade deshalb auf breiter Basis gut aufstellen, um die Bildung unserer Schülerinnen und Schüler nicht aus den Augen zu verlieren.
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Digitalisierung als Masterkonzept in den Ring zu werfen, erscheint mir persönlich als nicht ausreichend. Distanzunterricht bedarf einer Vielzahl von in sich greifenden Komponenten, damit der Lernerfolg garantiert ist. Von den Lehrkräften kann man zwar erwarten, dass diese sich mit den unterschiedlichen Plattformen, Programmen und Vermittlungskonzepten auseinandersetzen. Auf Seiten der Schülerinnen und Schüler sind jedoch einige Hürden zu überwinden.
So müssen bei Schulschließungen viele Auszubildende im Betrieb arbeiten und sie haben keine Möglichkeit dort ungestört am Distanzunterricht teilzunehmen. Andere Schülerinnen und Schüler dürfen von zu Hause am Unterricht teilnehmen, weil im Betrieb nicht genügend Räume existieren, wo ein ungestörtes, konzentriertes Arbeiten möglich ist.
Hier entsteht oftmals das nächste Problem, denn nicht jeder verfügt über notwendige digitale Endgeräte und erst recht nicht über einen Drucker. Unterricht am Handy zu verfolgen ist anstrengend und nicht wirklich effizient. Lehrkräfte teilen den Bildschirm, laden Arbeitsblätter hoch oder zeigen im Fachunterricht den Einsatz von Software. Das ist die nächste Herausforderung, denn der Großteil der Schülerinnen und Schüler haben die Software nicht und können sich diese auch nicht leisten.
Distanzunterricht ja, aber …
In diesem Zusammenhang hilft es natürlich, dass digitale Endgeräte von der Regierung zur Verfügung gestellt werden, die sich jedermann ausleihen kann, wenn es erneut zu Schulschließungen kommen sollte. Auch die zur Verfügungstellung von Office 365 für Schülerinnen und Schüler ist enorm wichtig, denn somit hat jeder die Möglichkeit am Distanzunterricht teilzunehmen. Die Anwendung dieser Software wird jetzt zu Beginn des Schuljahres im Präsenzunterricht an den Schulen geübt.
Diese Maßnahmen mögen das Lernen zu Hause technisch ermöglichen. Motivierende Lehrer-Persönlichkeiten, die den Schülerinnen und Schülern im Präsenzunterricht gegenüberstehen, sind aber etwas völlig anderes als Lehrkräfte, die via Bildschirm den Unterricht abhalten. Kommunikation lebt auch vom Zusammenspiel verbaler und nonverbaler Interaktion. Durch das Teilen des Monitors entsteht eine sehr anonyme Atmosphäre mit zahlreichen Ablenkungsmöglichkeiten. Hinzu kommt, dass ein Berufsschultag mit neun Unterrichtsstunden, der digital zu verfolgen ist, für die Schülerinnen und Schüler nicht nur Selbstdisziplin erfordert, sondern auch enorme Konzentrationsfähigkeit.
Michael Paß, seit 2015 Berufsbereichsbetreuer für die Bereiche Druck, Foto und Medien an der Beruflichen Schule 6 in Nürnberg, ist gelernter Bankkaufmann und seit 2004 im Schuldienst. Seine Insider-Kolumne erschien in Deutscher Drucker 19-20/2020.