Die im Mai vorgestellte Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU), die die Lesekompetenz von Kindern aus unterschiedlichen Ländern vergleicht, bestätigt die Bildungsstudien der vergangenen Monate: die Anzahl der Grundschulkinder in Deutschland, die nicht ausreichend Lesen können, hat weiter zugenommen. Diese Entwicklung ist in vieler Hinsicht dramatisch. Ein Kommentar.
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Eigentlich müssten bei uns alle Alarmglocken schrillen: Jeder vierte Viertklässler in Deutschland verfügt beim Lesen nicht einmal über ausreichende Basiskompetenzen (Iglu-Studie 2021). Jeder fünfte 15-Jährige liest auf Grundschulniveau (Pisa 2018). Im internationalen Lese-Vergleich erreicht Deutschland gerade mal das Mittelfeld (Iglu 2021). Nur wenige EU-Staaten schneiden schlechter ab: Frankreich, Belgien, Malta und Zypern. Alle anderen EU-Staaten sind besser. An der Spitze der internationalen Iglu-Studie liegen die asiatischen Stadtstaaten Singapur und Hongkong, auf Platz Drei die Russische Föderation.
Leider gibt auch die Langzeitbetrachtung wenig Anlass zur Hoffnung: verglichen mit der Ausgangserhebung 2001 und den weiteren Erhebungen (Iglu findet alle fünf Jahre statt) sind die Leistungen der deutschen Grundschulkinder signifikant gesunken. Und um gleich einen Einwand vorwegzunehmen: Nein, nicht eine zunehmende Anzahl an Kindern mit Migrationshintergrund ist maßgebend: Wie Bildungsforscherin Nele McElvany gegenüber der „Zeit“ feststellte, wären die Leseleistungen der Viertklässler auch ohne eine veränderte Zusammensetzung der Schülerschaft deutlich schlechter geworden. Vielmehr macht der soziale Status, wie Buchbesitz, Bildungsabschluss und Berufstatus der Eltern den Unterschied!
Wie gesagt: die Alarmglocken müssten schrillen, angesichts der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen – und der ernsten Gefahr für unsere Demokratie – , die die mangelnde Lesefähigkeit nach sich zieht. Zuallererst in der Politik, die seit Jahrzehnten in den Bildungssektor vor allem blumige Worte investiert. Aber auch in den Wirtschaftsunternehmen unseres Hightechstandorts, denen massiv die Fachkräfte fehlen. Denn die Rechnung ist einfach: Wer nicht richtig lesen kann, macht keinen oder keinen guten Schulabschluss und demzufolge kaum eine qualifizierte Ausbildung.
Und nicht zuletzt sollten die Signale in unserer Branche laut und vernehmlich zu hören sein. Auch hier fehlen qualifizierte Fachkräfte. Längst mangelt es an jungen Leuten, die sich für den Umgang mit Papier, Farbe und Text begeistern können. Und über kurz oder lang werden uns auch die Leser für unsere schönen Bücher, Magazine und Broschüren ausgehen.
Der Kommentar erschien in Deutscher Drucker 9/2023. Das Heft steht im print.de-Shop zum Download bereit.