Menschen in der Druckindustrie: Stephan Eckner

Der digitale Handwerker

Druckindustrie: Stephan Eckner, technischer Direktor und Mitgesellschafter, Tessitura GmbH
Stephan Eckner, technischer Direktor und Mitgesellschafter, Tessitura GmbH. (Bild: Tessitura GmbH)


Eigentlich wollte Stephan Eckner Grafikdesign studieren, doch als Datenverarbeitungskaufmann verschlug es ihn in die Druckindustrie. Hier krempelt der Kreativkopf sämtliche digitalen Prozesse um, sorgt mit moderner Datenaustauschtechnologie erstmals für echte Vernetzungs- und Integrationsfähigkeit innerhalb der Branche. Dass einige Unternehmer den Sinn dahinter immer noch nicht verstanden haben, dazu hat Eckner seine Meinung, die er auch gerne kundtut. Denn eines ist der wortgewandte „Datenjongleur“ sicher nicht: auf den Mund gefallen.

 

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Wirkliche Vernetzung in der Druckindustrie

Kaum vorstellen kann man sich den Mann heute noch mit Irokesen-Haarschnitt, 14 Ohrringen, komplett in Leder und schwarz gekleidet, den E-Bass am Gurt über die Schulter hängend – und im Hintergrund Musik der Industrial-Rocker von Nine Inch Nails. „Aber genau so bin ich zu meiner Lehrzeit herumgelaufen. Wild.“ Stephan Eckner hat Datenverarbeitungskaufmann gelernt – bei Bense in Coesfeld, einem für die Druckbranche der 1990er-Jahre nicht ganz unbedeutenden Agfa/Apple-Systemhaus, das später im grafischen Handelshaus Steuber aufging. „Wobei ich eigentlich, familiär geprägt, Grafikdesigner werden wollte“, berichtet Eckner stirnrunzelnd. Schließlich war der Großvater schon Grafikdesigner bei der Ufa und Landschaftsmaler gewesen, der Onkel langjähriger Karikaturist bei der Bildzeitung. Doch der Numerus clausus auf dem Design-Studiengang war hoch – und so landete „Ecki“ nach einjährigem Praktikum (in einer Druckerei) und angefangenem Physik-Übergangsstudium letztlich bei Bense, von einem Freund vermittelt. Und später nach der Lehre für neun Jahre bei Offset Kaiser in Essen, seinerzeit einem der größten Musikdrucker in Deutschland, wo er als Abteilungsleiter Vorstufe, Druck, IT und Qualitätsmanagement „alles automatisiert hat, was es zu automatisieren gab“. In diesem Fall vermittelt durch Ulrich Bense selbst, der damals den ersten Apogee-Workflow mit Großformat-CtP-Belichter Avantra 44 an Kaiser verkauft hatte – und Ecki als Workflow-Spezialisten, Berater und Integrator auf Freelancer-Basis gleich mitschickte.

 

Wenn ich meine Lieblingsmusik laufen lassen,
rennen alle anderen in der Regel ganz schnell davon.“

 

 

Völlig fasziniert von Fertigungsprozessen

Bis heute gilt Stephan Eckner als absolute Koryphäe für den Bereich Prozessautomatisierung mit Switch, ist auch Enfocus Switch Consultant und
-Entwickler. Zudem ist er von der grundsätzlichen Einstellung her ein typischer Fall von „Geht nicht, gibt‘s nicht“. Eine komplexe Aufgabenstellung ungelöst zurücklassen? Für ihn völlig undenkbar. So hat Ecki beispielsweise schon in frühen Jahren den Prepress-Fertigungsprozess für die mehrsprachige Produktkommunikation für sämtliche Playstation-Spiele vollautomatisiert – mit dynamischem Preflighting mittels Variablen, was zu jener Zeit in der Anwendung Pitstop Pro überhaupt noch nicht möglich war.

2017 schließlich stieß er zum Prepress- und Integrationsdienstleister move the print GmbH, dessen bekanntestes Projekt sicherlich das des lettischen Buchdruckers Livonia Print (Riga) gewesen sein dürfte. Stephan Eckner unterstützte dort den Head of Business Development Digital, Marc Freitag, beim Aufbau der Digitaldruckabteilung. Zentraler Punkt dabei war die Vorstufenauto-
matisierung (natürlich mit Switch) und Integration mit dem vernetzungsfähigen MIS Keyline (drei Canon-Drucker und fünf Müller-Martini-Buchbindeaggregate, die vollautomatisch mit Rüst-JDFs gefüttert werden und Maschinen-Feedback an Keyline liefern). „Völlig beiläufig erwähnte Marc Freitag mir gegenüber dann seinen Langzeitplan, nach dem diese Art der Prozessintegration perspektivisch dann auch auf den gesamten Offsetbereich im Unternehmen ausgerollt werden sollte. Wir reden hier von über 100 Maschinen in der Produktion, wovon das dateibasierte Switch natürlich völlig überfordert gewesen wäre“, schüttelt Stephan Eckner den Kopf – und grinst: „Zugleich war dieser ,Schock‘ aber gewissermaßen irgendwie auch die Geburtsstunde der Vernetzungs-Architektur von Tessitura Odeon. Denn es galt, eine Middleware mit riesigem Backend zu entwickeln, die überhaupt in der Lage ist, mit solchen Lasten umzugehen.“

 

Von der Idee zur Plattform

Die Odeon-Plattform ist heute so gebaut, dass sie Input-Formate von Produktionssystemen als eine Art ,Übersetzer‘ über die entsprechenden ,Worker‘, also maßgeschneiderte Schnittstellen, in ein immer gleiches Produktbeschreibungsformat übersetzt und am Ziel per Worker in das entsprechende andere Format rückübersetzt. Stephan Eckner: „Der Vorteil dabei ist, dass die Produktbeschreibung im Odeon-Backend somit immer neutral ist und keinerlei 1:1-Verbindungen zu Maschinen mehr programmiert werden müssen, sondern nur noch Worker, die irgendein System an Odeon anbinden können. Damit multiplizieren sich mit jedem Worker, den Tessitura baut, die Möglichkeiten des Informations-Transports. Je mehr Worker hinzukommen, desto einfacher lassen sich künftig verschiedenste Verbindungen schnell realisieren. Defacto wären das dann bei Tessitura im grafischen Konfigurations-Backend irgendwann nur noch einzelne Knoten.“

Heute ist das Konzept unter dem Produktnamen Odeon schon bei mehreren Druckereien live im Einsatz. Und mit der Odeon Connect Box lassen sich dank integrierter Jobverwaltung inzwischen sogar jobspezifische Fertigungsdaten von alten analogen Produktionssystemen an die Odeon-Plattform übergeben. Entwickelt wurde die Architektur von Stephan Eckner, der auch Product Owner ist. Und der konzeptionell besonders darauf geachtet hat, dass das System flexibel und wartungsfähig bleibt und dass es sich auch alle leisten können (geringe finanzielle Einstiegshöhe).

 

In den frühen 1990ern waren wir bei Bense für die Branche
schon so etwas wie IT-Pioniere, denn nicht jeder konnte
die Macs in heterogene Umgebungen einbinden. Das Problem-
lösungsdenken von damals kommt einem noch heute in vielen
Bereichen des Prozessmanagements zugute.“

 

Nach move the print war das Interesse an Ecki, seiner Idee und seinem Team groß. So gab es einerseits einen großen holländischen Textildrucker als möglichen Investor (Ecki: „Zu wenig Zugang zum deutschen Markt…“), aber auch Livonia selbst war natürlich weiterhin interessiert daran, das Team zu behalten (Ecki: „Dann aber wäre das Projekt eine Hauslösung geblieben, ich aber wollte perspektivisch definitiv etwas für den gesamten grafischen Markt anbieten…“). Und so kam man am Ende mit Steuber, einem „alten Bekannten“, ins Gespräch, schließlich war man sich sowohl bei Kaiser als auch bei Bense immer wieder über den Weg gelaufen. Das Fachhandelshaus übernahm das Team und gründete später (zur Abgrenzung der unterschiedlichen Geschäftsfelder im Haus) die Tessitura GmbH aus, die die zukunftsorientierte Odeon-Architektur markttauglich realisiert hat und am Markt auch anbietet.

 

Die „Blindheit“ der Branche

Ein grafischer Markt, den Stephan Eckner gerne ketzerisch in die „Reformierten“ und „nicht Reformierten“ unterteilt. Eckner: „Es mangelt der Druckindustrie, so hart muss man das einfach sagen, an Inhabern und Unternehmern, die sich perspektivisch ausgiebig damit beschäftigen, was ihr Betrieb wirklich braucht – nämlich Flexibilität, Prozesstransparenz und digitale Schnittstellen. Sie verstehen auch gar nicht, warum sie das brauchen und was aus ihnen wird, wenn sie sich nicht schleunigst darum kümmern.“

Erschreckenderweise, so Eckner, würden sicherlich 70 Prozent der Betriebe da draußen zu diesen „nicht Reformierten“ zählen. „Es mangelt in der Branche, vielleicht oftmals auch aus einer Bequemlichkeit heraus, die aus den goldenen grafischen Zeiten herruht, an Pioniergeist, Neugierde und einem ernsthaften Auseinandersetzen mit der Zukunft. Das ständige Gejammere über die ach so schwierige Lage der Druckindustrie ist nicht nachvollziehbar, die Probleme sind doch hausgemacht! Zu allem Überfluss führt diese Attitüde dann auch noch zu wenig intelligentem Nachwuchs, falls intern überhaupt etwas nachkommt, wo Jugendliche heutzutage doch deutlich mehr Möglichkeiten haben.“

 

Eigentlich bin ich irgendwie der (digitale) Handwerker,
der sich einfach nur über sein Werk freut.“

 

Als innovatives Start-up wie Tessitura könne man in diesem Umfeld nur versuchen, eben genau jene Hilfsmittel zu bauen, die die Industrie aktuell braucht. „Wenn die Unternehmen jedoch nicht begreifen, wofür sie diese benötigen, dann stehen wir auf verlorenem Posten“, so Eckner. „Für besagte Chefs den Prediger und Heilsbringer spielen zu müssen, der für einen etwaigen Projekteinstieg ständig Überzeugungsarbeit leisten muss, ist für uns ebenso frustrierend wie Projekte abbrechen zu müssen (vielleicht auch aus monetären Gründen), nur weil immer wieder die Sinnhaftigkeit des Projekts an für sich angezweifelt wird. Es gibt für Drucker aber einfach keinen schlüssigen Grund dafür, auszusteigen, wenn man wirklich eine Zukunftsperspektive haben will! Integrationsprojekte sind nun einmal in der Regel Schwarzweiß-Projekte: Sie nützen dir nur vollständig etwas – oder gar nicht.

Uns selbst bremst das letztlich nur aus für die vielen ,willigen‘ Projekte in unserer übervollen Pipeline. Wir haben da draußen genügend ,reformierte‘ Kunden, nämlich die anderen 30 Prozent, um unsere Firma weiter auf Wachstumskurs zu halten. Ich befürchte nur, dass, wenn dieses Wachstumspotenzial irgendwann einmal ausgeschöpft sein sollte, dann keine ,Prediger-Kunden‘ mehr übrig sein werden…“ Vielleicht eine Aufgabe für Verbände, Hochschulen und Innungen, schnellstens deutlich mehr Bewusstsein bei den grafischen Unternehmen für
die Bedeutung von Digitalisierung und Prozessoptimierung zu schaffen? Beziehungsweise für die Bedeutung von Automations-Softwarelösungen, denen viele in der Branche im Gegensatz zum „Heavy Metal“ der Maschinen immer noch nicht recht trauen, weil sie ja „mega-komplex und quasi irgendwie eine Blackbox“ sind, und deren Output man auch nicht in den eigenen Händen halten kann?

Als klassisches Beispiel eines „Sinnhaftigkeit-Killers“ für Prozessoptimierungs-
projekte beschreibt Stephan Eckner augenzwinkernd gerne folgendes Beispiel: Eine Druckerei will ihre Kalkulation verbessern und integriert hierfür mit großem Aufwand den ganzen Maschinenpark mit digitaler BDE. Die Maschinen liefern die Daten auch zurück und das System erzeugt automatisch Reports, für die alle relevanten Informationen aus den Daten herausgezogen werden. „Und jetzt fehlt da nur noch der eine letzte Schritt“, so Stephan Eckner. „Jetzt müsste sich da im Betrieb wöchentlich jemand hinsetzen, das Ganze analysieren und aufgrund der Ergebnisse die Kalkulation tunen! Und ich wette: Wenn dies das MIS-System über eine KI nicht selbst erledigt, wird es keine Menschenseele tun – und der Benefit für den ganzen Aufwand zuvor bleibt sprichwörtlich zwei Meter vor der Marathon-Ziellinie liegen und wird verschenkt!“

 

Völlig unterschätztes Potenzial

Weiteres technisches Potenzial bzw. Potenzial an integrativen Prozessen gäbe es in der Druckbranche noch zuhauf, ist sich Stephan Eckner sicher. Zum Beispiel prinzipiell der ganze Bereich des Datenhandlings, allein um Druckereimitarbeiter von stupiden, eintönigen Arbeiten zu befreien, den Personalaufwand in Zeiten des Fachkräftemangels zu reduzieren und die administrativen Kosten im Herstellungsprozess so niedrig wie möglich zu halten. Schließlich leben wir in einem Hochlohnland.

Überraschenderweise sieht er aber auch bei den ganz Großen der Branche, den Vorzeige-Onlinedruckern, noch Potenzial: „Ich behaupte jetzt einfach mal, dass die sich ursprünglich mal adhoc ziemlich genau das System gebaut haben, das sie für ihre Zwecke damals gebraucht haben und ohne das ihr Geschäftsmodell auch nicht möglich gewesen wäre. Aber: Letztlich dürfte das inzwischen auch ein Software-Monolith sein, der nach zehn Jahren veraltet ist und auch nicht mehr einfach so ausgetauscht werden kann. Sicherlich wird das System nicht modular genug sein und vermutlich auch auf einem proprietären Datenbanksystem basieren. Hier müsste man sich IT-technisch noch breiter aufstellen.“

 

Das Odeon-Konzept von Tessitura ist schon relativ
einzigartig. Das merken auch immer mehr Hersteller,
entsprechend wird die Liste der zu bauenden ,Worker‘
schneller größer, als wir sie abgearbeitet bekommen.“

 

Und die Ideen sprudeln einfach nur so weiter: Um das große Problem von abfließendem Know-how aus der Branche aufgrund des demografischen Wandels in Deutschland abzufangen, werden künftig vermehrt KI-Lösungen zum Einsatz kommen, ist sich Eckner sicher. „Zum Beispiel werden im Bereich Sachbearbeitung, also Kalkulation etc., ganz sicher KIs eine immer größere Rolle spielen.“ Oder bei Bestellungen per E-Mail oder Anfragen an den Support, also an allem, was im Prinzip per Freitext-zu-KI-Schnittstelle lösbar ist, wird künftig auch Künstliche Intelligenz beteiligt sein. Onlinedruckereien, die Kunden in ihrem Webshop heute einen Layouteditor anbieten, werden morgen über einen KI-Wizard verfügen, der im direkten Austausch mit den Kunden Gestaltung und Inhalte entwickelt und im Dialog iterativ verbessert. „Mit Manpower wäre so etwas überhaupt nicht bezahlbar – und selbst diese Manpower steht künftig ja nicht mehr zur Verfügung, weil Fachkräfte fehlen!“

„Auch uns als Entwicklern hilft die KI übrigens schon heute bedeutend weiter, zum Beispiel prinzipiell in Sachen Entwicklungsgeschwindigkeit, beim Austesten möglicher Elemente bei der Prototypen-Entwicklung, im Produktdesign, beim Testen von Software, aber auch grundsätzlich bei der Mustererkennung in großen Datenbeständen.“

 

Druckmarkt stabil, aber anders

Welches zukünftige Bild von der Druckindustrie zeichnet der engagierte und nach eigenen Aussagen „super-neugierige“ Familienvater, der unter anderem Apple-Mitbegründer Steve „The Woz“ Wozniak als Vorbild nennt und sich bis heute für theoretische Quanten- und Astrophysik interessiert, also?

„Das Gesamtdruckvolumen bleibt ja seit Jahren auf Niveau, nur die Anzahl an Produzenten sinkt stetig. Aus meiner Sicht wird das Printprodukt in einigen Bereichen an Bedeutung verlieren und gegebenenfalls substituiert werden. Dafür wird sich Print aber durch Individualisierung und Mass Customization an anderen Stellen Märkte erobern, die vielleicht heute für uns noch gar nicht ,greifbar‘ sind. Individuelle Printprodukte werden noch deutlich verbreiteter sein, das Massenprodukt Print wird an einigen Stellen Federn lassen müssen. Somit wird sich das Marktvolumen in Richtung digitalisierter Druckprodukte verschieben. Und damit meine ich konkret: Entweder, dass es Digitalisierung braucht, um diese Printprodukte datentechnisch handeln zu können, oder die eben auf digitalen Maschinen hergestellt werden.“

 

STEPHAN "ECKI" ECKNER

ist technischer Direktor, Prokurist und Mitgesellschafter bei der Tessitura GmbH (Mönchengladbach). Tessitura entwickelt praxisnahe Workflow- und Vernetzungstechnologien für Druckereien und angeschlossene Industrien. Eckner gilt als der kreative Kopf hinter der integrativen Software-Suite Odeon von Tessitura sowie der Odeon Connect Box, die erstmals auch eine Vernetzung mit alten Analog-Produktionssystemen im Print-Workflow möglich macht.

 


Das Porträt von Stephan Eckner gehört zu einer Reihe von Interviews und Geschichten über „Menschen in der Druckindustrie“.
Sein Porträt sowie Reportagen über weitere Menschen, deren Herz heftig für Print schlägt, finden Sie in Ausgabe 16/2024 von Deutscher Drucker. Die gesamte Ausgabe steht im print.de-Shop zur Verfügung.

 

 

Deutscher Drucker 16/2024

Schwerpunkt: Menschen in der Druckindustrie +++ Offsetdruck +++ Digitaldruck +++ Rollenoffset +++ Digital Printing Summit

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