Weißpigment soll trotz nachgewiesener Sicherheit als Gefahrstoff deklariert werden
Titandioxid: Farbenindustrie warnt vor EU-Einstufung
von Frank Lohmann,
Kurz vor der EU-Entscheidung über eine Einstufung des Weißpigments Titandioxid als Gefahrstoff übt die Farbenindustrie scharfe Kritik an dem Vorschlag und weist auf die ungewollten Konsequenzen, beispielsweise beim Recycling, hin. Die Kritik der Branche entzündet sich vor allem daran, dass Titandioxid laut VDL (Verband der Lack- und Druckfarbenindustrie) nachweisbar sicher sei und trotzdem als Gefahrstoff eingestuft werden soll.
Mit knapp 60 % sind die Hersteller von Farben, Lacken und Druckfarben größter Abnehmer von Titandioxid-Pigmenten und wären durch die Einstufung erheblich betroffen. „Hintergrund für den Einstufungsvorschlag ist die Befürchtung, dass Arbeiter an Lungenkrebs erkranken könnten, wenn sie bei der industriellen Herstellung und Verarbeitung Staubemissionen von Titandioxid ausgesetzt sind“, erläutert Dr. Martin Engelmann, VDL-Hauptgeschäftsführer.
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Aus wissenschaftlicher Sicht fehle dem Vorschlag der Kommission jede Grundlage, so Engelmann weiter: Er basiert lediglich auf einer einzigen, mehr als 20 Jahre alte Studie, bei der Ratten über einen sehr langen Zeitraum staubförmiges Titandioxid einatmen mussten. „Die dabei festgestellte Reaktion ist nach einhelliger Expertenmeinung nicht stoffspezifisch für Titandioxid, sondern charakteristisch für eine Vielzahl von Stäuben”, kritisiert Engelmann. Es gäbe auch in anderen Studien keine Hinweise auf eine Gefahr für Menschen. Im Gegenteil: Untersuchungen über mehrere Jahrzehnte hinweg an etwa 24.000 Arbeitern in Titandioxid-Fabriken hätten kein erhöhtes Risiko für eine Tumorentwicklung ergeben. „Titandioxid ist sicher. Untersuchungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung bestätigen, dass es in Deutschland keinen einzigen Fall einer anerkannten Berufskrankheit aufgrund von Titandioxid gibt. Verbraucher kommen mit Titandioxid-Pulver kaum in Kontakt, so dass eine Gefährdung auch aus Sicht der EU-Kommission ausgeschlossen ist“, erklärt Engelmann.
Immer deutlicher wird, welche Folgen eine Einstufung von Titandioxid als Krebsverdachtsstoff für Wirtschaft und Verbraucher hätte: So müssten Abfälle mit einem Titandioxid-Anteil ab 1 % , zum Beispiel Kunststoffverpackungen wie Joghurt-Becher oder Bau- und Abbruchabfälle, in Zukunft als „gefährlicher Abfall“ (früher „Sondermüll“) behandelt werden. „Die Kosten für die Abfallentsorgung würden explodieren“, warnt Engelmann und weist darauf hin, dass damit auch die ambitionierten Ziele für das Kunststoff-Recycling unerreichbar wären. Daran ändere auch die von der Kommission angekündigte Ausnahme in der EU-Abfallgesetzgebung nichts, weil die Umsetzung einer praktikablen Lösung Jahre in Anspruch nehmen würde.
Internationale Kritik nimmt zu
Unterdessen nimmt die internationale Kritik zu: Neben den USA haben auch Kanada, Mexiko, Japan, Australien und Neuseeland Einspruch gegen den Vorschlag eingelegt. Die Einstufung könne „unnötig störend für Milliarden von Dollar“ im internationalen Handel sein. Die Handelspartner empfehlen, die Einstufung bis zur Klärung der offenen Fragen zurückzustellen. „Die Kommission sollte ihren Autopiloten in Sachen Titandioxid abschalten und die internationale Kritik an dem Vorschlag ernst nehmen“, empfiehlt Engelmann. Die Einstufung von Titandioxid sei ein „Lackmus-Test für die Europäische Chemikalienpolitik“, weil sie Auswirkungen auf sämtliche pulverförmigen Stoffe habe.
Die Branche erneuert ihre Kritik an den für Farben, Lacke und Druckfarben vorgeschlagenen Warnhinweisen, wonach auf jedem Farbeimer künftig stehen soll „Achtung! Beim Sprühen können sich gefährliche Tröpfchen bilden“. „Wir können nicht verstehen, warum sämtliche Farben und Lacke gekennzeichnet werden sollen, obwohl nur die wenigsten für Sprühanwendungen geeignet sind”, so Engelmann. Außerdem sei Titandioxid in Farben und Lacken fest in die Bindemittel-Matrix eingebunden und könne daher gar nicht eingeatmet werden.
Als Lösung schlägt der VDL eine europaweite Angleichung der Staubgrenzwerte am Arbeitsplatz vor. „Die diskutierten Risiken beruhen allein auf dem Einatmen von Stäuben. Der Schutz vor Staub ist ein wichtiges Thema und wird in den meisten EU-Mitgliedstaaten durch einen Grenzwert am Arbeitsplatz sichergestellt. Deutschland ist hier international Vorreiter“, erläutert Engelmann. Statt der vorgeschlagenen Einstufung von Titandioxid sollte die von der EU-Kommission bereits in Angriff genommene Harmonisierung der Staubgrenzwerte in Europa vorangetrieben werden.