Ulrich Stetter ist seit Mai 2021 Präsident von Intergraf, dem europäischen Dachverband der Druckindustrie. Den Geschäftsführer mehrerer Druckunternehmen treibt vor allem um, dass die Nachhaltigkeit der Branche in der breiten Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wird.
print.de: Wie kamen Sie eigentlich in die Druckbranche? Gibt es einen persönlichen Hintergrund?
Ulrich Stetter: Das war Zufall. Ich wollte eigentlich Architekt werden und hatte mich mit einer Lehre als Schreiner darauf vorbereitet. Als es dann soweit war, gab es wieder eine der Baukrisen. Also habe ich mich nach etwas anderem umgesehen und bin dann zufällig auf die Hochschule in Stuttgart gestoßen. Mit dem Wunsch, einen technischen Beruf mit Betriebswirtschaft zu verbinden. Bei einem Vorpraktikum in der Druckerei LeRoux in Erbach bei Ulm habe ich erstmals die Luft der Druck-Industrie geschnuppert und die täglich wechselnden Herausforderungen erlebt.
Je bereut?
Nein.
Inzwischen sind sie Geschäftsführer einer ganzen Reihe von Firmen und dazu noch Verbandspräsident. Wie schafft man das?
Ich arbeite sehr stark themenbezogen. Dass heißt, wir entwickeln zum Beispiel in einer Firma ein System oder einen Prozess, der dann von den anderen übernommen werden kann. Im Blick auf die Pandemie-Auswirkungen war das äußerst hilfreich. Etwa bei der Einführung von Kurzarbeit. Oder wenn schnell auf gesundheitspolitische Entscheidungen reagiert werden musste. Ich sage mir immer, wenn ich da Kostenstellen aufschreiben müsste für jede Tätigkeit oder erst überlegen, mache ich das jetzt für die Firma A oder für die Firma B, dann würde es schwierig werden.
Auch ihr Geschäftsführer-Kollege Christoph Schleunung ist Verbandspräsident – in seinem Fall beim VDMB. Ist das so eine gemeinsame Grundhaltung, dass Ihnen ehrenamtliche Tätigkeit wichtig ist?
Ja. Und das hat sich im Zuge von Corona besonders bestätigt. In Brüssel werden immer mehr Entscheidungen getroffen, die sich unmittelbar auf unsere Branche auswirken. Für mich ist es wichtig, dass wir dort vertreten sind. Wenn wir in Brüssel nicht mitsprechen, dann werden wir immer mehr Probleme haben. Ich fühle mich als Europäer und sehe das sehr positiv, was über die Jahrzehnte an Gemeinsamkeit entstanden ist.
Sind sie jetzt also der Cheflobbyist der europäischen Druckindustrie?
Ich sehe mich nicht so, aber im Zweifelsfalle: ja. Im Moment gibt es vor allem zwei wichtige Diskussionen. Zum einen die „Door Drop“-Diskussion, also zur Prospektverteilung in die Hausbriefkästen. Da läuft sehr vieles sehr verquer. Etwa die Annahme, dass alles nur weggeworfen wird. Ich bin sicher, dass die Discounter sehr genau wissen, wieviel Umsatz so ein Prospekt bringt. Zu sagen, wir haben hier ein Wegwerfprodukt ohne Wert, das ist haarsträubend. Die werbetreibende Industrie investiert nur in Werbung, wenn sie relativ sicher weiß, dass diese Werbung auch funktioniert. Und den großen Discountern zu unterstellen, die drucken da irgendwelche Beilagen aus Spaß, ist einfach unrealistisch.
Das zweite Thema ist die Umweltdiskussion – eigentlich eine Überlebensfrage für die Druckindustrie. Wir müssen klarstellen, dass wir eine der wenigen Industrien sind, die mit nachwachsenden recyclingfähigen Rohstoffen arbeitet. Dass wir schon mit dem Kreislauf arbeiten. Wenn wir es nicht schaffen, diesen Ruf für uns zu bewahren und zu untermauern, dann werden wir ein massives Problem haben. Schon in relativ naher Zukunft. Für mich beginnt der Umweltschutz schon bei der Gestaltung. Ein gut gemachtes, effizientes und nutzerbezogenes Druckprodukt wird besser angenommen und ist damit an sich schon umweltfreundlicher als eines, das nicht passt. Und man druckt nur so viel, wie wirklich benötigt wird. Das ist eine Diskussion, die wir im Buchbereich sehen.
Sie sind schon seit 2018 im Vorstand von Intergraf. Wie nehmen Sie denn die Einheit der europäischen Druckindustrie wahr? Ziehen alle am gleichen Strang?
Wir haben alle dieselben Themen – Papierpreise, Papier-Verfügbarkeit, Umweltaspekte, Märkte. Wir sind uns da sehr sehr einig und arbeiten alle in der gleichen Richtung.
Es gibt immer wieder die Vermutung, dass Länder in Sachen Papier-Nachschub unterschiedlich behandelt werden. Haben sie das mal so registriert?
Nein. Die Verfügbarkeit ist in allen Ländern im Moment gleich. Außer in UK, da sieht es etwas schlechter aus als in Zentraleuropa. Aber das hat natürlich Gründe. Der Brexit kommt da sozusagen noch auf die Papierkrise obendrauf.
Sie haben sich vorhin sehr positiv zum Thema EU/Europa geäußert. Wie nehmen Sie denn diesen bürokratischen Moloch Brüssel wahr?
Der direkte Kontakt fehlt natürlich. Dafür gibt es die Spezialisten bei Intergraf. Es wirkt wie ein Moloch, ist es aber nicht immer. Ich habe den Eindruck, dass die EU nicht immer die beste Kommunikationspolitik hat. Wenn Themen angestoßen werden, dann sucht man aber auch die Experten und ist offen gegenüber den Meinungen aus den Branchen, die ist es betrifft. Aber da muss man eben in richtigen Moment vor Ort sein, das erklären und unterstützen. Und dann wird man auch gehört. Wenn man in Brüssel mit am Tisch sitzt, kann man dort etwas bewegen, davon bin ich überzeugt.
Obwohl die Druckbranche auf nachwachsenden Rohstoffen beruht, erscheint sie oft in schlechtem Licht. Wie kann man das Eigenmarketing der Branche verbessern?
Es wird schon viel getan. Aber wir erleben in der Praxis zwei Seiten des Themas. Wenn wir im Bereich Verpackungen unterwegs sind, etwa mit Versandtaschen aus Papier, dann sind wir die Guten. Dann heißt: Feine Sache. Sprechen wir über Kataloge oder – ganz „schlimm“ – über die Zeitungsbeilagen, dann sind wir die „Bösen“. Mit angeblichen „Wegwerfprodukten“. Man sagt, der Wald in Europa stirbt, aber das Gegenteil ist der Fall. An Volumen gibt es hier Zuwächse und eine ausgeklügelte Systematik zur optimalen Nutzung. Das wird leider nicht erkannt. Die Verbände arbeiten da dran. Für die gedruckte Werbung läuft im Augenblick eine entsprechende Kampagne.
Als Druckereimanager stehen Sie, Herr Stetter, mit an der Spitze eine Unternehmensgruppe, die zur richtigen Zeit als Dienstleister in den Sammelform-Druck eingestiegen ist. Das hat dem Druck ganz neue Märkte erschlossen.
Ich bin überzeugt: In der Summe ist das eine massive Stärkung der Druckindustrie, weil man einfach Segmente abdeckt, die ich vor vielen Jahren „Longtail“ genannt habe. Wir haben im Markt die Katalog-Drucker, die Buch-Drucker, die Zeitungs-Drucker. Alles Spezialisten, die auch davon nicht wirklich berührt werden. Und dann gab es so einen großen Topf, den niemand haben wollte: Die 100 Visitenkarten, die 50 Einladungen. Und durch das Sammeldruckverfahren haben wir einfach die Möglichkeit, preislich sehr attraktiv zu produzieren. Damit konnten wir neue Zielgruppen für Druckprodukte begeistern. Und wir produzieren auch effizient. Auf einer Achtfarben-Offsetmaschine fallen heute beim Rüsten nur noch 40 Bogen Makulatur an. Bei 2 bis 2,5 Minuten Rüstdauer. Das sind Welten zu den Zahlen vor zehn Jahren.
Das heißt, dass der technologische Fortschritt in der Druckindustrie dem Nachhaltigkeitsgedanken entgegenkommt?
Es gibt eine deutliche Reduzierung bei der Maku und beim Stromverbrauch pro Stück. Wir drucken Briefbogen zum Beispiel zu 25 Nutzen auf einem Bogen. Das ist was anderes, als wenn ich vier Platten herstelle und dann zu zwei Nutzen auf der GTO drucke. Ich brauche natürlich das Volumen, um die Sammelbogen vollzubekommen. Wir haben uns in über 15 Jahren zu einem industriellen Druckhersteller entwickelt. Wir konzentrieren uns darauf, die Produkte möglichst effizient zu produzieren. Das ist für mich eine neue Nische. Neben den Etiketten-, Verpackungs- oder spezialisierten Akzidenzdruckern. Bei den Kleinauflagen und bei der Vielfalt kann der klassische Drucker definitiv nicht mithalten.
Ulrich Stetter, geboren in Oberschwaben, ist Vater von zwei studierenden Kindern und Absolvent der Hochschule für Medien Stuttgart. Seit fast 15 Jahren Geschäftsführer in den Unternehmen der Druckhaus Mainfranken-Gruppe, ist der leidenschaftliche „Papiermensch“ und Verfechter des „Gedruckten“ nun auch Präsident von Intergraf in Brüssel. Privat ist er aktiver Hobbyforstwirt, naturverbunden und viel in den Wäldern des Spessarts unterwegs.
Das Porträt von Ulrich Stetter gehört zu einer Reihe von Interviews und Geschichten über “Menschen in der Druckindustrie”. Unter diesem Titel erzählen zehn Menschen aus der Branche über das, was sie an der Druckbranche fasziniert und was sie bewegt. Das Porträt von Ulrich Stetter sowie neun weitere Menschen, deren Herz für Print schlägt, finden Sie in Ausgabe 16/2021 von Deutscher Drucker. Die gesamte Ausgabe steht im print.de-Shop zur Verfügung.