Thomas Hebes ist ganz nah dran an der Druckindustrie. Er hat Standards mitentworfen, die „Prozess-Denke“ schwingt bei all seinen Gedanken und Einschätzungen stets mit. Und auch wenn er der Branche immer noch zu viel Technikverliebheit attestiert, so sieht er doch eine gute Zukunft für Print. Ein Grund dafür ist die fortschreitende digitale Resignation.
Druckindustrie – von Normen und Standards geprägt
Nach dem Abitur wollte der gebürtige Berliner Thomas Hebes eigentlich an der Fachhochschule Informatik studieren. Doch es sollte ganz anders kommen … Denn für das Studium war eine abgeschlossene Berufsausbildung oder ein Praktikum Grundvoraussetzung. Und das Praktikum verschlug ihn in eine Schaltungsagentur bei Heilbronn, wo er erstmals mit der Druckvorstufe in Kontakt kam. Die Zeit des Desktop Publishing nahm hier gerade Fahrt auf – und er traf auf eine Chefin, die dem Thema gegenüber total aufgeschlossen war. So konnte Hebes in der Werbeagentur eine Grafikabteilung etablieren, die bis heute erfolgreich am Markt agiert.
„Etwas kreativ am Mac erstellt zu haben, was dann in einem Druckobjekt publiziert wurde, übte auf mich schon eine gewisse Faszination aus“, so Thomas Hebes. Und motivierte ihn schließlich auch noch dazu, mit einem Druck- und Medientechnik-Studium an der Hochschule der Medien (Stuttgart) sämtliche Branchenkenntnisse von der Pike auf zu erlernen. Schon damals fokussierte sich der Vorstufenspezialist schwerpunktmäßig auf genau jene Studieninhalte, die sein späteres berufliches Leben am meisten prägen sollten: das Color Management und den Tiefdruck.
„Farbe transportiert für mich Emotionen wie nichts anderes“, so Hebes. „Und die Haptik kann dies sogar noch verstärken. Eigentlich ist Farbe ja ‚nur‘ eine physikalische Größe, die letztlich aber alles sichtbar erscheinen lässt. Einfach genial, wie unser Gehirn damit funktioniert, oder?“ Und der Tiefdruck? „Zum einen ist der Tiefdruck für mich aufgrund der riesigen Maschinen und der Tonnagen an Papier und Druckformen, die dafür bewegt werden müssen, so spannend. Andererseits fasziniert mich die unglaubliche Präzision, die in der Gravur und den anderen digitalen Verfahren zur Druckformherstellung vorherrscht.“ Vor dem Hintergrund eines ursprünglich ja mal geplanten Informatikstudiums kamen Hebes‘ Interessenlage aber sicherlich auch die im Tiefdruck extrem frühzeitig etablierten voll-digitalen Workflows sehr entgegen.
„Farbe transportiert für mich
Emotionen wie nichts anderes.“
Nach dem Studium arbeitete der Diplom-Ingenieur als Instruktor bei Hell Gravure Systems, was ihm die Möglichkeit verschaffte, weltweit tiefergehende Einblicke in führende Publikations-Tiefdruckereien zu gewinnen. Danach wechselte er die Seiten und übernahm bei Prinovis (bis zur Schließung des Standorts) die Abteilungsleitung Prepress. Heute arbeitet Hebes als Verfahrensleiter bei Burda Druck und führt dort ein bereits bei Prinovis in enger Kooperation begonnenes Digitaldruckprojekt weiter.
(Bild: Burda Druck GmbH)
Physischer Charakter macht Print erlebbar
Was bedeutet Print für jemanden, der jahrelang Massenprintprodukte wie den Ikea-Katalog betreut hat, zuletzt aber verstärkt für die Segmentierung und Individualisierung von Katalogen in Kleinstauflage steht? „Print setzt einen völlig anderen Fokus-Punkt als digitale Medien“, so Thomas Hebes. „Es lässt mehr Auseinandersetzung zu, wo digitale Medien durch ihre Schnelllebigkeit unverbindlich wirken und auch immer mehr ermüden. Mal ganz abgesehen davon, dass man technisch über Print Farbe zielgerecht steuern kann, was über digitale Medien nur begrenzt möglich ist. Prinzipiell ist Druck für mich persönlich aber vor allem ein essentieller Bestandteil unserer gelebten Demokratie! Print bedeutet: Fakten statt Gefühle – nachverfolgbar, in der Hand zu halten, recherchierbar. Gerade vor dem Hintergrund monopolistischer Machtverhältnisse im Netz und der aktuellen, von Fake News angeheizten Corona-Diskussion.“
„Print bedeutet für mich
absolute Quality Time!“
„Ich persönlich glaube“, so Hebes weiter, „dass es der physische Charakter ist, der Print erlebbar macht! Die Manifestation von Information ist psychologisch einfach wichtig gegenüber dem digitalen ‚Wisch&weg‘. Diese ‚Flüchtigkeit‘ des Digitalen ist sicherlich auch einer der Gründe dafür, warum dem gedruckten Wort immer noch mehr geglaubt wird. Ich erkenne beruflich wie privat auch eine gewisse digitale Resignation und Müdigkeit, allen Kommunikationskanälen gerecht zu werden. Und ich glaube, dies wird noch zunehmen, sicherlich zum Wohle von Print.“
Ausgelöst werde diese verstärkt um sich greifende digitale Müdigkeit laut Hebes von einer ständigen Angst, etwas zu verpassen, und kompletter Informationsüberforderung. „Nach tagsüber mehrheitlicher Bildschirmarbeit bedeutet Print für mich absolute ‚Quality Time‘. Ich genieße es, mit gedruckten Medien wie Büchern oder Zeitschriften Informationen zu vertiefen, Spaß zu haben oder mich in eine Geschichte hineinzuversetzen – und all das ohne zu einem Onlinekommentar verpflichtet zu sein!“ Auch seine Kinder seien (neben Netflix und Youtube) ständig am lesen. „Zuletzt mussten wir sogar auf Leih-Bücherei umsteigen, weil die Hausbuch-Sammlung bei uns in der Wohnung jeglichen Stauraum zu sprengen drohte …“
Basisdemokratischer Prozess
Als Verfahrenstechniker sieht sich Thomas Hebes auch weiterhin als „Vorkämpfer“ für standardisierte Prozesse in der Druckindustrie. „Ohne Standardisierung kann man professionellen Druck doch heute überhaupt nicht mehr betreiben, wenn man erfolgreich und kostendeckend bestehen will. Egal, ob im Bereich Farbe, Qualität oder Druckdatenaustausch.“ Dem Vorurteil, sich mit Verfahrenstechnik zu beschäftigen, sei doch wohl sehr langweilig, erteilt Hebes eine Absage: „Im Gegenteil. Natürlich sollte man schon etwas nerdig unterwegs sein – aber dieser basisdemokratische Prozess bei der Normentwicklung, diese Suche nach Kompromissen und dem kleinsten gemeinsamen Nenner, kann für viele Unternehmen den ‚Durchbruch‘ in der Produktion bedeuten. So wie etwa die Charakterisierungsdaten von Fogra39 es bis heute tun. Dass man dabei nicht nur einen kleinen Ausschnitt der Produktion, sondern den ganzen Prozess begutachten muss/darf, macht die Sache total spannend. Zumindest für mich!“
Neben der Prozess- und Farbstandardisierung engagiert sich Thomas Hebes auch für die weitere Autorisierung (Sondergenehmigung) von Chromtrioxid für die Herstellung von Tiefdruckzylindern im Rahmen der REACH-Verordnung. Dasselbe gilt auch für das leicht entzündliche Lösemittel Toluol in Tiefdruckfarben im Rahmen der TA Luft (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft) durch das Bundeskabinett.
(Bild: Burda Druck GmbH)
Konzepte und Emotionen
„An der Druckindustrie stört mich am meisten dieses konstante Jammern auf höchstem Niveau“, berichtet Thomas Hebes kopfschüttelnd. Aber auch das „Konkurrenzpöbeln“ innerhalb der Branche, welche Technik, welches Verfahren denn nun wohl besser sei und das bessere Ausdruckverhalten habe, geht dem Farbspezialisten auf die Nerven. „Aber einem Medienplaner ein cooles Konzept rüberzubringen, wie man am besten mit einer Idee beim Leser Emotionen wecken könnte – und diese dann auch bis hinein in den Briefkasten und vorbei an den anderen, zumeist digitalen Möglichkeiten perfekt adressiert: Da hört man dann meist nur noch wenig Konstuktives. Es wird bei Print in Zukunft immer um Konzepte und Emotionen gehen. Deshalb wünsche ich mir, dass wir künftig viel mehr über den Transport von Inhalten an den Kunden reden und nicht über irgendwelche Fertigungstechnologien.“
„Die Druckindustrie verliert sich oft in
technischem Klein-Klein und Konkurrenzgedanken.“
„Uns bei Burda Druck bewegt zum Beispiel gerade das Thema Content-Erstellung im Bereich Individualisierung: Unsere Apothekenzeitschrift „my life“ ist derzeit die wohl weitestverbreitete Zeitschrift am Markt in einer periodisch-individualisierten Auflage. Doch die Apotheken bespielen ihre Contentfreiräume nicht gewissenhaft genug mit immer wieder neuen Inhalten. Sie sind eben keine Contentproduzenten, sondern Apotheker! Nun wird überlegt, den Apothekern die Möglichkeit zu geben, auch andere regionale Inhalte automatisch und standardisiert ausspielen zu können. Zum Beispiel Inhalte vom jeweiligen Stadtmarketing.“ Aber, wie könnte es anders sein (und Thomas Hebes muss schmunzeln): „Um dies vernünftig umsetzen zu können, fehlen derzeit in diesem Bereich einfach noch die Standards, Stichwort: Metadaten in Content-Management-Systemen.“
Thomas Hebes ist seit rund zwei Jahren Verfahrenstechniker bei der Burda Druck GmbH, nachdem er zuvor sechs Jahre lang die Prepress-Abteilung bei Prinovis geleitet hat. Zugleich ist Hebes Vorsitzender des Arbeitskreises Tiefdruck bei der ERA (European Rotogravure Association) und Mitglied der ECI (European Color Initiative).
Das Porträt von Thomas Hebes gehört zu einer Reihe von Interviews und Geschichten über „Menschen in der Druckindustrie“. Unter diesem Titel erzählen zehn Menschen aus der Branche über das, was sie an der Druckbranche fasziniert und was sie bewegt.
Das Porträt von Thomes Hebes sowie neun weitere Menschen, deren Herz für Print schlägt, finden Sie in Ausgabe 16/2021 von Deutscher Drucker. Die gesamte Ausgabe steht im print.de-Shop zur Verfügung.