Faltschachtel-Spezialist Heinrich Derksen hatte eigentlich den perfekten Job bei einem großen Maschinenhersteller. Und dennoch wagte er mitten in der Corona-Krise den Schritt in die Selbstständigkeit in der Druckindustrie – als Dienstleister mit seiner eigenen Faltschachtelklebemaschine.
Als Allrounder in der Druckindustrie gestartet
Der gebürtige Niedersachse Heinrich Derksen hat sein ganzes Berufsleben mit Faltschachteln zu tun gehabt – aufbauend auf der soliden Grundlage einer Lehre als Verpackungsmittelmechaniker und in der Folge mehreren Jahren als Allrounder in der Branche. Alles drehte sich ums Stanzen, Kleben, Kaschieren.
Später dann die Meister-Ausbildung – zum Industriemeister der Papier- und Kunststoff-Verarbeitung. Den Abschluss mit einer glatten „1“ im Rücken hatte er sich als Abteilungsleiter bundesweit beworben und kam so in den Süden zu einem namhaften Verpackungsproduzenten in Württemberg.
Die ganze Berufserfahrung samt Aus- und Weiterbildung konnte er schließlich als „Systemspezialist Faltschachtel-Klebemaschinen“ bei einem Maschinenhersteller einbringen. Ein Traumjob, wie Heinrich Derksen auch heute noch versichert. Eine perfekte geradlinige Karriere.
„Die Decke kam immer näher“
Aber 2020 änderte sich die Welt für viele Menschen. Die Corona-Pandemie legte die Wirtschaft lahm. Und Heinrich Derksen, der bereits seit 2019 in Kurzarbeit war, hatte erst recht keine Kunden mehr, die er beraten konnte. Saß zu Hause, wo auch seine Frau ihrer Arbeit in der Finanzverwaltung im Home Office nachgehen konnte. Während sie gut ausgelastet war, kam für den umtriebigen Derksen „die Decke immer näher“.
Wer keine konkreten Projekte hat, der bringt gern „idealtypische“ Produktionen und Workflows zu Papier. Wie müsste wohl der perfekte Faltschachtel-Klebe-Dienstleister aussehen? An diesem Punkt war es seine Frau, die den finalen Anstoß gab: „Lass uns jetzt deine Selbständigkeit ganz konkret angehen.“ Denn wenn es etwas gibt, was Heinrich Derksen gut einschätzen kann, dann sind dies die Bedürfnisse der Faltschachtelhersteller. Woran es in vielen Unternehmen fehlt, sind ausreichend fachkompetente Mitarbeiter, um aus Produktionsmaschinen das Optimum herauszuholen.
Heinrich Derksen brachte also alles an Fachkompetenz, was man sich nur wünschen kann. Seine Frau ist wiederum Finanzprofi. Doch wie man das in einen banktauglichen Businessplan umsetzt, mussten beide erst noch lernen. Beim ersten Anlauf gab es von der damaligen Hausbank zwar keinen Kredit aber den guten Rat, sich doch ans RKW zu wenden.
Das RKW Baden-Württemberg sieht sich selbst als „Wegbereiter und Sparringspartner“ für kleine und mittlere Unternehmen, Existenzgründer und Start-ups. „Gemeinsam machen wir Ihre Potenziale zu Erfolgen – dabei gelingt die Umsetzung je nach Bedarf durch einen integrativen Ansatz aus Beratung, Training und Coaching aus einer Hand“, schreibt das RKW auf seiner Website.
170 Fachberater und Trainer sind Teil des RKW-Netzwerks. Einer davon ist Dr. Michael Trompf, seit zwei Jahrzehnten Berater und Coach in den Bereichen Unternehmensgründung, Existenzfestigung, Finanzplanung, Geschäftsentwicklung, Förderung & Finanzierung sowie Innovation. Für „Derksen Packaging“ wurde Trompf quasi zum Geburtshelfer.
Es begann tatsächlich zwischen Weihnachten und Neujahr 2021 mit einer (geförderten) Erstberatung – und dann ging es „Schlag auf Schlag“, wie sich Heinrich Derksen erinnert. „Wir haben ihn geknebelt. Und er uns.“ Die Energie und das Tempo, das die Derksens vorlegten, brachte ihnen vom Berater die Bemerkung ein: „Ihr seid ein unglaubliches Gründungsteam.“ Trompf begleitete die Derksens auch zur Bank. Einer anderen freilich als beim ersten Anlauf, aber auch eine Regionalbank. Binnen einer Woche kam die Finanzierungszusage und Heinrich Derksen konnte seinem Maschinenlieferanten Bescheid geben. Die Regionalbank fand über ihre Immobilienabteilung auch die passende Produktionshalle in Ammerbuch (Landkreis Böblingen), unweit der Autobahn A81 im südlichen Großraum Stuttgart, die ursprünglich als Verkaufsraum für Garten- und Forsttechnik diente. Hell, freundlich und sogar mit gefliesten Böden.
Entscheidung für die Omega Allpro
Heinrich Derksen hatte sich für eine Faltschachtel-Klebemaschine Omega Allpro 110 von Koenig & Bauer entschieden und sich diese Auswahl nicht leicht gemacht. Schließlich hängt sein ganzes Geschäftsmodell an diesem zentralen Produktionsmittel.
Koenig & Bauer produziert in seinem Werk in Istanbul Faltschachtel-Klebemaschinen, die sich durch einige Besonderheiten auszeichnen. Etwa das Verstell-Konzept für die Riemen, das eine schnelle Umrüstung von dünnen auf dicke Materialien bzw. umgekehrt möglich macht. Die Omega-Allpro-Faltschachtelklebemaschinen sind für viele Substrate von Karton bis Wellpappe geeignet. Heinrich Derksen will darauf Vollpappe- und Wellpappenzuschnitte bis zur B-Welle verarbeiten. Möglich sind unter anderem Längsnaht-, Faltboden- und Faltstülpschachteln sowie optional 4- und 6-Punkt-Verpackungen dank der Einzelfinger-Servo-Faltung.
Der Hersteller spricht von einer maximalen Riemengeschwindigkeit von 400 m/min, was Heinrich Derksen eher ein Lächeln entlockt, wird es für ihn doch erst jenseits von 500 Metern pro Minute so richtig interessant. Wo Laien nur noch ein verwaschenes Bild sehen, kann Derksen noch besondere Verhaltensweisen ausmachen und reagieren, um die Produktion zu optimieren. Schnelles Rüsten, hohe Laufgeschwindigkeit und außergewöhnliche Verpackungsideen in die Tat umsetzen – das sind drei Kernkompetenzen und teils auch USPs von Heinrich Derksen, auf denen die Idee der Selbstständigkeit fußt.
Für manche „Sonderkonstruktionen“ unter den Faltschachteln braucht es das eine oder andere zusätzliche mechanische Hilfsmittel, um sie maschinell verarbeiten zu können. Dazu gibt es nicht weit vom Standort der Derksen Packaging einen metallverarbeitenden Betrieb, wo sich der Firmenchef entsprechende Vorrichtungen bauen lassen kann.
Eine solide Basis
Faltschachteln haben Dauerkonjunktur. Es gibt sie in unendlichen Varianten. Angefangen von der Pizzaschachtel über die Verpackung von elektronischen Produkten über Getränke- bis hin zur Luxus-Parfumverpackung. Besonders einfallsreiche Konstrukte sind schon mal patentgeschützt. Heinrich Derksen sagt, dass er mit seiner Maschine rund 95 Prozent aller Faltschachteln produzieren könnte. Die Wartezeit auf seine Maschine hatte er im Frühjahr und Sommer dazu genutzt, um als Freelancer in Verpackungsbetrieben zu arbeiten. Auch diese Zeit hat ihn in seiner Entscheidung bestärkt, sich als Lohn-Klebebetrieb in der Branche zu positionieren: „Manche Firmen wollen ihre Produktion nicht mit schwierigen Klebeaufträgen blockieren.“ Und so ist die Produktion bei der Derksen Packaging GmbH Ende Oktober 2022 gut angelaufen.
Natürlich gibt es am Anfang nicht immer Anschlussaufträge, die Maschine steht schon mal einen Tag. Heinrich Derksen kommt das gut zupass. Er bereitet in diesen „Lücken“ die Zertifizierungen vor, die man für Verpackungen in der Pharma- oder Lebensmittelindustrie braucht.
HEINRICH DERKSEN,
geboren in Niedersachsen, ist gelernter Verpackungsmittelmechaniker und Industriemeister für Papier- und Kunststoffverarbeitung. Nach vielen Jahren bei Verpackungs- und Maschinenherstellern hat er sich 2022 mit der Derksen Packaging GmbH in Ammerbuch (Landkreis Böblingen) selbstständig gemacht. Er ist mit einem vierköpfigen Team gestartet, plant aber bereits Stellen für Produktionshelfer auszuschreiben. |
Das Porträt von Heinrich Derksen gehört zu einer Reihe von Interviews und Geschichten über „Menschen in der Druckindustrie“.
Sein Porträt sowie Reportagen über weitere Menschen, deren Herz für Print schlug und schlägt, finden Sie in Ausgabe 16/2022 von Deutscher Drucker. Die gesamte Ausgabe steht im print.de-Shop zur Verfügung.