Insider-Kolumne von Bernd Zipper aus Deutscher Drucker 25-26/2018

Böse Transformation! Die Welt nach dem Otto-Katalog

(Bild: Zipcon)

Der Hamburger Otto-Versand hat seinen Katalog eingestellt. „Doof“, werden die einen sagen, die gerne noch mal darin geblättert hätten – „Toll“, die anderen, die das 656 Seiten-Werk zum Altpapier schleppen durften. Trotzdem bin ich irgendwie traurig. Knapp 204 Jahre nachdem die erste Schnelldruckpresse in England die „Times“ reproduzierte (atemberaubende 1.100er-Auflage die Stunde) – und damit das Zeitalter der Massenmedien einläutete – ging am 4. Dezember 2018 das letzte Mal der große Otto-Katalog an den Kunden.

Gut, ich gebe zu – seit Jahren habe ich das schon erwartet. Traurig bin ich trotzdem – irgendwie verabschiedet sich da auch ein Stück weit Kindheit. Sozusagen der erste Kaufrausch, das erste Träumen von Dingen die man mal haben möchte, wenn man einen Beruf hat. Mitmenschen meines Jahrgangs kennen das.

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Aber letztlich ist der Abschied konsequent. Um dem Onlinegiganten Amazon etwas entgegenzustellen, hat Otto in den letzten Jahren den Konzern und seine Online-Vermarktungsplattformen massiv auf den Kopf gestellt. Aus dem Versandhändler ist längst einer der führenden Onlinehändler in Deutschland geworden. Nach 21 Jahren – die erste Otto-Onlineplattform gab es schon 1997 – werden nun künftig Apps und Onlineshops das Schaufenster zum Kunden. Aber – Moment – eigentlich ist das Schaufenster zum Kunden schon längst digital: 95 Prozent aller Otto-Kunden bestellen über den Online-Shop und davon knapp 70 Prozent über die App via Mobiltelefon.

„Aus dem Versandhändler [Otto] ist längst einer der führenden Onlinehändler in Deutschland geworden.“

Bemerkenswert, oder? Stellt man sich doch den typischen Otto-Kunden gerne als das „Mütterchen“ vor, das im Kreise ihrer Lieben abends im Katalog blättert. Wie passt das mit den vielen Onlinebestellungen zusammen? Zum einen sicherlich mit der Verjüngung der Kunden des Otto-Konzerns insgesamt – zum anderen aber auch mit der Akzeptanz von Mobiltelefonen und Apps in allen Bevölkerungsgruppen. Der Konzern, mit fast 3 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr, sicherlich eher ein Tanker im Vergleich zu so manchem trendigen Startup, hat so einiges richtig gemacht – vor allem mit seiner „Wir-sind-da-wo-unsere-Kunden-sind“-Strategie. Darüber sollte man mal nachdenken – oder Herr (oder Frau) Druckunternehmer(in)?

Aber keine Angst: Otto setzt dennoch weiterhin auf Print, und Print ist aus dem Kommunikationskanon des Konzerns auch nicht wegzudenken – aber in spezialisierten Ausführungen, je nach Neigung des jeweiligen Kunden. Big Data sei Dank – so weiß man heute via Webanalyse ja genau, was der Kunde mag. Auf eines wird man aber verzichten müssen: Auf das Pony, das der Versandhändler im Jahr 1972 für 745 DM (nur gegen Vorkasse) im Katalog hatte – in Zeiten des Internets ist der Versand via DPD leider nicht möglich …

In diesem Sinne – schauen Sie doch auch mal, wo Ihr Kunde unterwegs ist. Lohnt sich.

→ Ihre Meinung? insider@print.de

Bernd Zipper ist Berater, Dozent, Redner sowie Gründer und CEO der Zipcon Consulting GmbH in Essen. Seine Schwerpunkte dabei sind Mass Customization, Web-to-Print, E-Business Print, Online Print Shops und interdisziplinäre Medienprojekte. Gleichzeitig ist er Autor des Blogs beyond-print.de.

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