Menschen in der Druckindustrie: Oliver Wurm

Inszenierung in Print

Besondere Print-Magazine und ihre Macher: der Journalist, Medienberater und Verleger Oliver Wurm.
Der Journalist, Medienberater und Verleger Oliver Wurm. (Bild: © www.juliaschwendner.com)


Oliver Wurm macht Medien. Genau genommen macht er Magazine. Und setzt damit Geschichten ganz neu in Szene.

 

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Magazine, die ins Auge fallen

„Das geht besser“, dachte sich Oliver Wurm spontan, als er das Büchlein mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das ihm die Zentrale für politische Bildung zugeschickt hatte, in den Händen hielt. Klein, dünn, kaum über Reclam-Größe und dann dieses „pergamentartige Papier und diese kleine 12-Punktschrift – ich konnte es kaum lesen.“ Dabei stehen da, wenn man genau reinliest, ja großartige Sätze drin. Mutige Sätze, die es Wert sind, ihrem inhaltlichen Gewicht entsprechend groß rauszukommen. Es war die Geburtsstunde vom „Grundgesetz als Magazin“, das Oliver Wurm zum 70. Jahrestag der deutschen Verfassung an den Kiosk brachte.

Oliver Wurm und der Gestalter Andreas Volleritsch haben diese großen Sätze groß inszeniert. Den wichtigsten „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ haben sie zusätzlich zur Doppelseite im Innenteil auf den Titel des 124 Seiten starken Hefts gehoben. Auch andere Sätze bekommen ihre Bühne und fallen ins Auge, wie „Eine Zensur findet nicht statt“ oder „Politisch Verfolgte genießen Asyl“. „Wir haben keine Wertung vorgenommen“, sagt Wurm, „aber eine Gewichtung“. Die Idee wurde ein riesiger Erfolg: Weit über 100.000 Exemplare wurden bislang verkauft und an Schulen und Bildungsinitiativen verschenkt. Das Heft erhielt zahlreiche Designpreise und Oliver Wurm das Bundesverdienstkreuz am Bande. Und noch heute ordern Schulen ganze Klassensätze oder Großeltern bestellen es für ihre Enkel. „Die Oma ist irgendwann weg“, sagte mal eine Kundin zu Wurm. „Aber die Verfassung, die bleibt.“ Bei so einem Satz kann einem schon mal was ins Auge kommen.

 

Medienmacher

Das Grundgesetz ist vielleicht das bekannteste und vermutlich auch das erfolgreichste, aber beileibe nicht das einzige Projekt aus Oliver Wurms Ideenschmiede in Hamburg Sankt Pauli, einem kleinen Büro in einer Seitenstraße der Reeperbahn.

Seinen Einstieg in den Journalismus fand Wurm, der studierte Sportwissenschaftler und Publizist, über den Sport, der auch heute immer noch einen Schwerpunkt seines Schaffens bildet. Nach ein paar Jahren als Journalist bei der Sport-Bild, wo er quasi aus dem „Bauch der Bundesliga“ berichten durfte, wechselte er als Ressortleiter für Sport & Auto zum Lifestyle-Magazin Max. Da ging es dann mehr um die Inszenierung des Sports und der Spieler – ein ganz anderer Blickwinkel als bei Sport-Bild. Als Synthese dieser beiden Welten ergab sich dann 2006 das von ihm gegründete Fußballmagazin „Player“, das pünktlich zur WM in Deutschland Porträts der jeweiligen Spieler herausbrachte. Auf dem Titel der ersten Ausgabe: Lukas Podolski. 13 Ausgaben lang erschien der Player, als dessen Chefredakteur Wurm fungierte. Es war sein Einstieg in die Selbstständigkeit als Journalist und Medienberater, wie es auch auf seiner Visitenkarte steht.

Zahlreiche Projekte folgten. Um nur ein paar zu nennen: 2009 gründete Oliver Wurm gemeinsam mit Alexander Böker die Juststickit GbR, die Panini-Alben für Städte und Regionen veröffentlichte. „Hamburg sammelt Hamburg“ machte den Anfang, inzwischen gibt es Alben von über 50 Städten und Regionen Deutschlands, einschließlich der bundesweiten Ausgabe: „Deutschland sammelt Deutschland“. 2011 gab Wurm auf 354 Seiten das Neue Testament als Magazin heraus, komplett in der Einheitsübersetzung mit 20 teils großformatigen Fotografien der Fotografin Brigitte Maria Mayer sowie zahlreichen Infografiken, beispielsweise über die Päpste. Trotz der teilweise provokanten Bilder zollten ihm selbst Vertreter der Kirche Anerkennung für die moderne Aufbereitung des alten Textes. 2021 – drei Jahre bevor Angela Merkel selbst ihre Memoiren herausbrachte – erschien mit „Die Kanzlerin“ ein Rückblick auf 16 Jahre Angela Merkel. Klar wird bei diesem Titel, dass Wurm ein Faible für Zahlenspielereien hat: 16 renommierte Autorinnen und Autoren schrieben über 16 Schlagwörter und Zitate – eine Art „Themencloud“ der 16 „Merkel- Kanzlerinnenjahre“. Zudem lag in bester Panini-Manier dem Heft ein Stickerbogen mit 16 Aufklebern bei.

Print-Magazine: Ein kleiner Auszug aus Oliver Wurms Arbeit: Das Grundgesetz (links) und 13+13 Gedichte
Ein kleiner Auszug aus Oliver Wurms Arbeit: Das Grundgesetz (links) und 13+13 Gedichte.

Mit Zahlen spielte Wurm auch bei der Gedichtreihe „13+13 Gedichte“, von der jüngst der 5. Band erschienen ist. Die Idee dahinter: 13 Gedichtklassiker und 13 zeitgenössische Gedichte in einem Band zu einem Thema. Die Zahl 13 ergab sich aus einem nachdenklichen Blick aus dem Fenster: „Das Haus gegenüber trägt die Zahl 13“, lacht Wurm. Doch auch die zufällig gewählte Zahl bringt Spaß: „13+13 Gedichte, das ergibt 26“, rechnet Wurm vor. Pro Jahr erscheinen zwei Hefte, also insgesamt 52 Gedichte. Das macht ein Gedicht pro Woche.“ Der aktuelle Band behandelt das Thema „Meer“. „Liebe“ gab es auch schon, ebenso wie „Natur“. Jedes Gedicht wird durch einen kommentierenden Essay begleitet, Illustrationen zeigen die Dichterinnen und Dichter. QR-Codes führen zu Audiofiles, in denen die Gedichte vorgelesen werden. Es sind Hefte, die Lust auf Lyrik machen sollen.

Und natürlich zieht es Oliver Wurm immer wieder zum Sport: Klar musste zu den letztjährigen Olympischen Spielen ein Magazin erscheinen: Paris.24 gab es in elf verschiedenen Cover-Versionen zu jeweils elf verschiedenen Sportarten.

Bei den Magazinen, die im 2014 gegründeten Verlag Fußballgold erschienen sind, hat unter anderem die argentinische Fußball-Legende Diego Maradona zum 60. Geburtstag seine Würdigung bekommen. Eine Hommage auf 122 Seiten. Als Maradona wenige Wochen nach Erscheinen des Hefts starb, legte Oliver Wurm nach. Dasselbe Titelbild, nur jetzt in Schwarzweiß. Innen 88 Seiten gefüllt mit Nachrufen, Bildern und Erinnerungen an den Fußball-Gott.

Auch an Kaiser Franz Beckenbauer erinnert ein Magazin, ganz klar in FC-Bayern-Rot. Und unter dem Titel „Du hattest 90 Minuten Zeit“ stellten 90 Promis, darunter Robbie Williams, Barbara Schöneberger, Franz Beckenbauer, Roger Federer, Jupp Heynckes oder Jogi Löw je eine „verdammt gute Frage“ an Toni Kroos, der einst einen ZDF-Reporter mit dem Satz „Du hattest 90 Minuten Zeit, dir vernünftige Fragen zu überlegen. Und dann stellst du mir zwei so Scheißfragen“ plattgebügelt hatte. Auch legendäre Spiele, wie das 7:1-Spiel Brasilien gegen Deutschland bei der WM 2014, das Toni Kroos als die besten 90 Minuten seiner Karriere bezeichnete und Dante als seinen ganz persönlichen Albtraum, sind Wurm ein Magazin wert. Oder das Bundesliga-Saisonfinale 2001 Bayern gegen Schalke, bei dem sich Schalke vier Minuten und 38 Sekunden lang als Deutscher Meister feierte, ehe Patrik Andersson mit dem letzten Schuss der Saison den Ausgleichstreffer für Bayern erzielte. Der Sport bietet unzählige derartige Geschichten, es kommt nur darauf an, wie man sie erzählt: als sachliche Nachricht, als kleine Anekdote oder eben als große Erzählung aus allerlei Blickwinkeln.

 

Immer in Print

„Ich bin immer mit dieser journalistischen Neugierde unterwegs“, sagt Oliver Wurm auf die Frage, wo er denn die Ideen für alle diese Themen und Geschichten hernimmt. Journalistische Neugier und die Fähigkeit, in allen möglichen Ereignissen die Geschichte zu finden, die sich zu erzählen lohnen, und ihnen die Bühne dafür zu bieten. Und für Oliver Wurm ist das Magazin die Bühne, die er diesen Geschichten zur Verfügung stellt. Immer in Print. Mit ausdrucksstarken Bildern, mal als Grafik, mal als Karikatur, mal als Foto, das manchmal in einem Augenblick die Emotionen von einem Jahrzehnt widerzuspiegeln scheint. Der Bruderkuss im Bibelmagazin zum Beispiel, groß aufgezogen auf eine Doppelseite, zieht so den Betrachter in seinen Bann. Auch mit der Typografie wird gespielt. Wenn einem beim Grundgesetz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ auf einer Doppelseite entgegenknallt, dann ist das eben nicht nur ein Satz unter vielen.

Ebenso gehören Papier, Bindung, Farbe und Veredelung zur Gesamtkomposition der Erzählung. Jedes dieser Elemente hat seine Bedeutung, weshalb Print für Oliver Wurm alternativlos ist. Die Geschichten brauchen die entsprechende Optik und Haptik. Sie brauchen diese kleine dramatische Kunstpause, zu der das Umblättern den Leser zwingt. Das retardierende Moment, das durch eine eingeblockte Doppelseite entsteht, auf der vielleicht nur ein Wort oder ein Bild zu sehen ist.

Print-Magazine: Ein kleiner Auszug aus Oliver Wurms Arbeit: das neue Testament als Magazin (links) und das Kölsche Grundgesetz
Ein kleiner Auszug aus Oliver Wurms Arbeit: Das neue Testament als Magazin (links) und das Kölsche Grundgesetz, das elf Artikel umfasst – jeder einzelne erklärt von einer echten Kölner Persönlichkeit.

„Natürlich kann man die Print-Krise nicht wegdiskutieren. Ich glaube aber, dass ich diese Krise für mich schon länger überwunden habe, weil ich eine Lücke gefunden habe“, sagt Wurm. In der Tat. Und wenn jemand wie Anke Engelke in ihrem Podcast dann dem SWR-Radiomoderator Kristian Thees erzählt, wie sehr sie schon auf den 5. Gedichtband gewartet habe und sich die beiden darüber unterhalten, wo denn nun das Heft in der Bahnhofsbuchhandlung zu finden sei, dann geht das eben nur mit Print.

Die Druckerei, mit der Oliver Wurm seit Tag eins zusammenarbeitet, ist B&K in Ottersweier. „Ich habe noch nie ein anderes Angebot eingeholt“, sagt er. Qualität, Leistung und Service stimmen und – mindestens so wichtig – die Chemie.

 

Perspektiven

„Ich glaube auch, dass wir noch wachsen können mit den Marken, die ich etabliert habe“, ist sich Wurm sicher. Gemeint sind die Gedichte, das Fußballgold oder die Städte-Paninis. Schwieriger und anstrengender sind natürlich die One-Shots, weil man jedes Mal von Null auf ein neues Magazin denken muss. Der Aufbau, die Typografie, Autoren, Illustrationen, Fotografie – all das muss überlegt und organisiert werden. Und ist das Heft dann fertig, fängt man wieder bei Null an. Hinzu kommt, dass für jedes Heft neu getrommelt werden muss, neu die Marketing-Maschinerie anlaufen muss und neu die geeigneten Partner und Anzeigenkunden gesucht werden müssen, denn am Ende sollen sich die Projekte ja rechnen. Angestrebt wird dabei ein Verhältnis von 40 zu 60 Prozent aus Anzeigen- und Verkaufserlösen, und dafür geht Oliver Wurm auch durchaus ins Risiko. „Gerade im ersten Schwung, wenn das Heft anläuft, müssen wir lieferfähig sein“, sagt er. „Es wäre katastrophal, wenn ein Heft groß beworben wird und dann nirgendwo zu kriegen ist.“ Insofern sind kleine „Testballons“, die vorsichtig erstmal nur in ausgewählten Läden platziert werden und on Demand produziert werden, keine Option. Unter eine Startauflage von 25.000 geht er ungern. Die Magazine müssen den Leuten schließlich ins Auge fallen, es muss einen Wiedererkennungseffekt geben, nach dem Motto: „Ach, das ist das Heft, von dem ich heute früh gelesen habe. Das nehme ich mit.“ Deshalb lag das Grundgesetz am Kiosk auch gut sichtbar neben Zeit, Stern, Spiegel und Bild.

Der Kiosk – und da sind es vor allen Dingen die Bahnhofskioske und -buchhandlungen – ist natürlich nur ein Teil der Vermarktung. Darüber hinaus bespielt Oliver Wurm die komplette digitale Klaviatur, besonders Social-Media-Kanäle wie Linkedin, Instagram und Facebook.

Druckindustrie: We love Print!

Hat er Angst, dass ihm irgendwann die Ideen ausgehen könnten? Nein. Sicher nicht. Man muss nur genau hinschauen, dann springen einen die Geschichten ja förmlich an. Außerdem ist er, wie er selbst sagt, mit einer „großen Umsetzungsenergie“ ausgestattet. Wenn ihn ein Thema interessiert, dann beißt er sich auch daran fest. „Ohne dabei verbissen zu sein“, ergänzt er lachend.

Ganz aktuell ist er schon wieder an einem Projekt dran, über das er allerdings noch nichts verraten möchte, außer, dass es komplex ist und vermutlich im Herbst 2025 erscheinen soll. Bis dahin kann man sich beispielsweise das eben erschienene „Kölsche Grundgesetz“ zu Gemüte führen. Elf intensive Gespräche mit elf Kölner Persönlichkeiten, über je einen Artikel des „Kölschen GG“. Zu diesen Persönlichkeiten zählen Leute wie Wolfgang Niedecken („Et es, wie et es.“), Yasmine M‘Barek („Macht et jot, ävver nit ze off.“) oder auch Gaby Köster („Wat hellste mache?“). Lesenswert für Kölner und für alle anderen Magazinfreunde.

 

OLIVER WURM

(Jahrgang 1970) studierte Sport und Publizistik an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Titel seiner Diplomarbeit: „Der Sportler als Popstar!“ Zunächst als Redakteur bei „Sport-Bild“ und „Max“ tätig, gründete er 2005 das Fußball-Magazin „Player“, dessen Chefredakteur er war, und machte sich schließlich als Journalist, Medienberater und Verleger selbstständig. Zu seinen zahlreichen Magazinprojekten gehören – neben Publikationen aus der Welt des Sports – das Grundgesetz, das Neue Testament, Panini-Alben für Städte und Regionen sowie die Lyrik-Reihe 13+13 Gedichte. Oliver Wurm lebt in Hamburg.

 


Das Porträt von Oliver Wurm gehört zu einer Reihe von Interviews und Geschichten über „Menschen in der Druckindustrie“.
Sein Porträt sowie Reportagen über weitere Menschen, deren Herz heftig für Print schlägt, finden Sie in Ausgabe 16/2024 von Deutscher Drucker. Die gesamte Ausgabe steht im print.de-Shop zur Verfügung.

 

 

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