Erfolgreiches Comeback mit dem schnellsten Rüttelsystem
Polar blickt optimistisch in die Zukunft – mit Fehlerkultur und Transparenz
von Redaktion,
Thomas Raab hat im November 2022 eine anspruchsvolle Aufgabe übernommen. Als Geschäftsführer steht er seither der Polar Group in Hofheim vor. Dennoch wirkt er im Gespräch entspannt, was nach den Schlagzeilen der letzten beiden Jahren nicht selbstverständlich ist.
Erfolgreiche Technik zeigt den Weg
„Wir blicken voller Tatendrang in die Zukunft“, erzählt der erfahrene Betriebswirt und freut sich zunächst einmal über den Erfolg des Polar AirGo Jog, der seit einiger Zeit am Markt etabliert ist und sich über eine steigende Nachfrage freuen darf. Der Polar AirGo Jog ist das schnellste Rüttelsystem zur autonomen und kantengenauen Schneidgutvorbereitung am Markt. Eine komplette Schneidlage wird mit dem Transomat-Belader über eine Lichtschranke, mit Keil (oder optional via Chip) aufgenommen und von einem Greifer in den Rüttler transportiert. Im Rüttler wird die vollständige Schneidlage mit hohem Luftvolumen aufgefächert, sodass sich die Bogen kantengenau ausrichten. Abschließend wird die Luft mit hohem Druck ausgestrichen. Die fertig gerüttelte Schneidlage wird vom Bediener über den Vordertisch oder optional von einem Greifersystem auf den Hintertisch des Schnellschneiders gezogen. Durch das Aufziehen der kompletten Schneidlage ist eine extrem kurze Zykluszeit von ca. 60 bis 90 Sekunden pro 16 cm Schneidlage möglich (Formatbereiche von 50 x 70 cm bis 78 x 106 cm). Andere automatische Rüttelsysteme am Markt sind teillagenbasiert und benötigen dadurch mindestens die doppelte Zeit zum Vorbereiten der Lage.
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Unvoreingenommener Blick von Außen
„Verlässlichkeit, Qualität und Innovationen sind die drei Standbeine, auf denen Polar seinen Erfolg aufbauen durfte“, erklärt der Geschäftsführer und lenkt das Gespräch auf das Thema, das die Branche in den letzten knapp anderthalb Jahren mit Interesse verfolgt hat und über das er ganz offen spricht, ohne etwas zu Beschönigen. An der Verlässlichkeit, sagt er ohne Umschweife, habe es zuletzt gehapert, „weil es intern an offener Kommunikation mangelte.“
Der Knall fegte Ende August 2022 über die Branche hinweg, als nicht nur die Fachpresse, sondern auch überregionale Tageszeitungen wie die Frankfurter Allgemeine darüber berichteten, dass ausgerechnet die Polar Group, Weltmarktführer für Schneidemaschinen und damit unzweifelhaft der Branchenprimus, ein Schutzschirmverfahren beantragen musste. Solch ein Schutzschirmverfahren wird nicht über Nacht eingeleitet. So ist Thomas Raab im Sommer 2022 ins Unternehmen geholt worden, um eben dieses Verfahren maßgeblich auf den Weg zu bringen. Ein Mann von Außen, mit unvoreingenommenem Blick.
Wieder Vertrauen in die eigenen Kraft vermitteln
Zunächst war es ihm wichtig, der Belegschaft wieder Vertrauen in den Betrieb zu geben: „Es ist uns gelungen“, berichtet er nicht ohne Stolz, „das Schutzschirmverfahren ohne Kündigungen zu durchlaufen.“ Als Auslöser für die Misere, die die Branche beschäftigt hat, sieht er Strukturen, die über Jahrzehnte gewachsen sind. So begab es sich, dass die einzelnen Abteilungen zwar als in sich geschlossene Einheiten eine exzellente Arbeit ablieferten, es aber am Austausch zwischen ihnen haperte. Dadurch ergaben sich überraschende Probleme, wo man sie gar nicht vermutet hätte: „Ich kenne kein Unternehmen, das so viele Komponenten seiner Maschinen selbst herstellt wie Polar.“ Die große Fertigungstiefe, immer noch ein Vorteil von Polar, beinhaltet auch eigene proprietäre Technologien wie die eigene Steuerung. Diese, sowie mehr und mehr Produkte und Systeme, werden künftig mit Industriesteuerungen (gekoppelt über offene, IP-fähige Interfaces) namhafter Anbieter ergänzt. Bei Stanzen ist das schon der Fall, bei den Schneidemaschinen ist man auf dem Weg. Zusätzlich haperte es an Ersatzteillieferungen. Ein Problem, das nicht nur Polar betraf. Aber bei der Vielfalt an Produktionen kam das Teilemanagement nicht mehr mit.
Neuausrichtung nach dem „Polarstern“
Das Motto, nach dem sich das Unternehmen in den letzten Monaten ausgerichtet hat, nennt Raab Polarstern. Statt eine Liste mit nummerierte To-Dos aufzustellen, bewegen sich die formulierten Ansprüche gleichberechtigt um das Unternehmen. Dazu gehören die Erhöhung der Kundenzufriedenheit, Verbesserung der Produktqualität (Optimierung des vorhandenen Maschinenportfolios statt ständig neue Produkte auf den Markt zu bringen), der Ausbau der Marktposition, die Verbesserung der Finanz- und Gewinnsituation und – ganz allgemein – Polar wieder als attraktiven Arbeitgeber über die Werksgrenzen hinaus zu etablieren, denn: „Auch wenn wir niemanden entlassen haben, gab es Abgänge.“ Nach der Einleitung des Schutzschirmverfahrens haben Mitarbeiter das Unternehmen verlassen. In Zeiten des Fachkräftemangels haben die nicht lange nach neuen Stellen suchen müssen. Dennoch hat Polar die freien Stellen neu besetzen können.
Die Dienst Packsystems GmbH, eine ehemalige Tochter von Polar, wurde derweil aus dem Unternehmensverbund an neue Besitzer übergeben. Neuer Eigentümer von Polar ist der österreichische Finanzinvestor SOL Capital, der auch die Niederlassung des Unternehmens in Shanghai übernommen hat. Mit der Übernahme im Februar 2023 konnte auch das Schutzschirmverfahren beendet werden.
Thomas Raab sieht das Unternehmen, das nach wie vor auf dem Druckmarkt mit ihrem Vertriebspartner Heidelberg agiert, gut für die Zukunft gerüstet und blickt auch über den Tellerrand: „Unsere Kernkompetenz ist das Schneiden und Stanzen.“ Diese Kompetenz wird auch in anderen Branchen benötigt. Und da verwundert es nicht, dass inzwischen vermehrt auch Kunden jenseits des Druckmarkts auf die Kompetenzen des hessischen Unternehmens zurückgreifen.
DER CHEF UND DER FIRMENSITZ
Thomas Raab hat Betriebswirtschaft an der Universität Nürnberg-Erlangen studiert. Er hat in verantwortlichen Positionen für mittelständische Unternehmen und Konzerne wie Bosch Rexroth und Siemens auch im Ausland gearbeitet. Zuletzt war er Chief Financial Officer (CFO) bei der Syntegon Technology in Crailsheim.
Polar sucht derzeit ein Gelände für eine moderne Neu-Niederlassung. Das alte Gelände wird nach einem Umzug nicht wieder industriell genutzt, stattdessen soll an seiner Stelle Wohnbebauung entstehen.