Kommentar von Gero Maatz über Nachhaltigkeit und Risikomanagement
Ungesunde Abhängigkeiten müssen reduziert werden
von Redaktion,
Anlässlich der 1. UN-Klimakonferenz in Berlin im Jahr 1995 warnte der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung vor einer Klimakatastrophe und forderte die sofortige Verringerung des CO2-Ausstoßes um jährlich 1%. Ansonsten sei ein Gegensteuern in 25 Jahren nicht mehr möglich. Selten hat sich eine Prognose wie die des Klimawandels (trotz 25 weiterer UN-Klimakonferenzen) so sehr bewahrheitet. Waldbrände verwüsten mittlerweile nicht nur Kalifornien sondern auch Brandenburg.
Ein Ergebnis des politischen Umweltschutzes darf nicht übersehen werden. Mit den Environmental Social Governance (ESG) hat der Gesetzgeber Investoren Kriterien zur Bewertung und Analyse von Wertpapieren an die Hand gegeben, um ökologische, aber auch soziale und ethische Aspekte in ihre Entscheidungen einfließen zu lassen. Großunternehmen und kapitalmarktorientierte Unternehmen haben daher inzwischen in einem ESG-Bericht Auskunft über ihre eigene Nachhaltigkeit zu geben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die ESG-Anforderungen auch auf KMU ausgedehnt werden. Mit der Installation einer Solaranlage wird es nicht mehr getan sein. Denn auch soziale Anforderungen – wie etwa die Einhaltung der ESG-Kriterien bei Zulieferbetrieben und Dienstleistern – müssen nachweislich erfüllt werden. Zusätzlich sind ethische Forderungen umzusetzen.
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Dazu zählt die Einführung eines Risikomanagements, das den Namen wirklich verdient. Wie will man zukunftssicher wirtschaften, wenn die Geschäftsrisiken nicht durch eine fundierte Analyse potenzieller Krisenursachen aufgedeckt werden?
Welche Klumpen-Risiken deutsche Energieunternehmen eingegangen sind, als sie sich und damit die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft von russischem Gas abhängig machten, hat deutlich werden lassen, dass in Zukunft auch die ökonomische Nachhaltigkeit in den ESG-Kriterienkatalog einbezogen werden muss.
Der Wohlstand muss durch die Steigerung der Unabhängigkeit sichergestellt werden. Bestehende Abhängigkeiten von Lieferanten, Kunden, Partnern und Beratern sind aufzudecken. Die Gefährdung der eigenen Autonomie ist klar zu benennen. Dass unternehmerische Entscheidungen die staatliche Autonomie gefährden, wird die Politik mit Sicherheit nicht länger hinnehmen.
Die meisten mittelständischen Unternehmen kennen ihre Klumpen-Risiken sehr genau, sie ignorieren diese jedoch häufig – etwa die Abhängigkeit von Schlüsselkunden. Schulterzuckend heißt es: „Da kann man nix machen“. Preiserhöhungen der Lieferanten werden wütend akzeptiert, aber nur schleppend an die eigenen Kunden weitergegeben, weil „da kann man nix machen“. Die Suche nach Energieeinsparungen beginnt erst mit der Ankündigung von Preiserhöhungen des Energieversorgers. An dieser Stelle beginnt der erste Schritt zur Nachhaltigkeit.
Es gilt, der Realität ins Auge zu sehen und ein Risikomanagement zu installieren, das Schnellschüsse aus der Hüfte nicht als unternehmerische Entscheidungsstärke interpretiert, sondern überflüssig macht. Alle ungesunden Abhängigkeiten müssen bekannt und langfristig reduziert werden. Dann ist ein ESG-Report für kleine und mittlere Unternehmen ein Beitrag zur Sicherung der eigenen Autonomie und keine lästige Pflicht.
Gero Maatz (36) ist Unternehmensberater mit mehrjähriger Erfahrung im Restrukturierungsbereich. Nicht nur als ehrenamtlicher Schatzmeister beim Fachverband Medienproduktion kennt er die besonderen Herausforderungen der Druckindustrie. Sein Beitrag erschien als Insider-Kolumne in Deutscher Drucker 10/2022. Das Heft steht im print.de-Shop bereit.