An seinem 94. Geburtstag, dem 10. Mai 2021, starb Dr. Wolfgang Kummer, ehemaliger Linotype-Geschäftsführer
DTP-Pionier Wolfgang Kummer verstorben
von Manfred Werfel,
Sein Leben für die Druckindustrie schien vorbestimmt: In Wiesbaden besuchte Wolfgang Kummer das Gutenberg-Gymnasium, in Mainz die Johannes Gutenberg-Universität; das erste Jobangebot nach dem Studium kam von einem Druckmaschinenhersteller.
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Dr. Wolfgang Kummer, geboren am 10. Mai 1927, war fast 30 Jahre lang Geschäftsführer von Linotype Deutschland und später CEO der weltweiten Linotype-Gruppe. Er hatte Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Mainz und Berlin studiert, war Stipendiat der University of Chicago Law School und promovierte dort mit einer Arbeit zum amerikanischen Kartell- und Patentrecht. Er begann seine berufliche Laufbahn bei einem deutschen Druckmaschinenhersteller und ging 1957 zu Linotype Deutschland, wo er 1960 Geschäftsführer und 1983 Präsident der weltweiten Linotype-Organisation wurde. Als Linotype eine deutsche Aktiengesellschaft wurde und mit dem Scannerhersteller Dr. Hell fusionierte, war er Vorstandsvorsitzender der Linotype-Hell AG.
Vom Bleisatz zum Desktop Publishing
Fast 100 Jahre lang waren Linotype-Maschinen die ultimativen Setzmaschinen der Zeitungen. Sie produzierten »Lines of Types« aus geschmolzenem Blei. Die Zeilen konnten in Spalten angeordnet und zu Seiten umbrochen werden. In den letzten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erlebte die Druckindustrie bedeutende Umwälzungen. 1972 errichtete die ursprünglich amerikanische Firma Linotype eine Produktionsstätte in Eschborn bei Frankfurt am Main und verlegte 1974 den Firmensitz dorthin.
Das Jahr 1976 markierte das Ende der alten Linotype-Technologie. Zur Überraschung vieler Experten stellte Kummer den Bau von Bleisetzmaschinen ein. Rückblickend sagte Kummer 2019 in einem Interview: »Linotype war sehr lange ein Hersteller mechanischer Maschinen. Aber am Ende der Linotype-Jahre wurden viele elektronische Geräte an die letzten ›Hochgeschwindigkeits‹-Setzmaschinen angebaut. Der elektronische Perforator ist ein gutes Beispiel dafür. Also beschäftigten wir in all unseren Betrieben in den USA, Großbritannien und Deutschland mehr und mehr Elektronik-Ingenieure und Programmierer. Aber wir mussten lernen, dass das R&D-Budget für die Entwicklung elektronischer Geräte wesentlich höher war als in den ›alten‹ mechanischen Tagen … und die Produktlebenszeit wurde immer kürzer. Nicht nur Linotype als Hersteller, sondern auch unsere Kunden mussten das lernen. Und – dass man für etwas bezahlen musste, was man nicht sehen konnte – Software! Wir waren in einer anderen Branche angekommen.«
Mit der Verknüpfung der Satztechnik mit der Computerindustrie begann für die Linotype-Gruppe ein weiterer wirtschaftlicher Aufschwung. Allerdings basierten die Systeme der verschiedenen Hersteller noch auf herstellerspezifischer Hard- und Software. Das machte es unmöglich, Komponenten eines Herstellers mit denen anderer zu kombinieren.
Dies änderte sich erst Mitte der 1980er Jahre. 1984 begann Linotype mit der Entwicklung von Laser-Belichtern, die nicht nur Buchstaben, sondern auch Grafiken und Bilder in einer druckreifen Auflösung von 1000 Linien pro Zentimeter belichten konnten. Zur gleichen Zeit stellte Apple den ersten Macintosh vor. Und Adobe lieferte mit der universellen Seitenbeschreibungssprache PostScript die Technologie zum Anschluss der neuen Ein- und Ausgabegeräte.
Kummer über diese Zeit: »Die Linotype-Gruppe hatte mit ihren Schriftgießereien wie D. Stempel A.G., Haas in der Schweiz usw. einen reichen Fundus an Schriften, viele davon urheberrechtlich geschützt. Wir lizenzierten viele an die Computerhersteller und wurden auch von Apple für die Verwendung in ihrem WYSIWG-Macintosh angesprochen.« (WYSIWYG = What you see is what you get)
Unter der Leitung von Dr. Kummer arbeitete Linotype mit Apple und Adobe zusammen, um Postscript-basierte Vorstufensysteme in der grafischen Industrie einzuführen. Er erkannte früh das Potenzial des damals so genannten Desktop-Publishing (DTP). Linotype entwickelte den ersten hochauflösenden Raster Image Processor (RIP), der den professionellen Fotosatz auf PostScript-Basis mit Macintosh-Computern ermöglichte. Die Linotronic 300 (für den Akzidenzsatz) und die Linotronic 500 (für die Zeitungsproduktion) waren die ersten und lange Zeit die einzigen Ausgabesysteme des Desktop Publishing.
Die Firma Linotype gibt es heute nicht mehr. Nach einer Fusion mit dem Scannerhersteller Dr. Ing. Rudolf Hell GmbH im Jahr 1990 wurde die neue Firma Linotype-Hell AG 1996 ebenfalls von der Heidelberger Druckmaschinen AG übernommen. Die Entwicklung von Scannern und Filmbelichtern wurde 2002 eingestellt.
Kummers Kommentar: »Die Druckindustrie […] war ein relativ kleiner Markt und es war einfach nicht mehr wirtschaftlich, eigene, proprietäre Systeme zu bauen. Deshalb wird die Text- und Bildverarbeitung heute auf allgemein verfügbaren Computern und PCs durchgeführt. Fast jeder hat heute eine Druckerei zu Hause mit einem Mac oder PC-Frontend und einem Tintenstrahl- oder Laserdrucker als Ausgabegerät.«
Dr. Wolfgang Kummers Name wird in Erinnerung bleiben und mit der Bewältigung eines zweifachen Technologiewandels der Druckvorstufe und Redaktionstechnik in Verbindung gebracht werden, welcher letztlich den Übergang vom Bleisatz zum Desktop Publishing markierte.