»Vorwärtsdenken« in der Druckindustrie (Print 4.0)
Die zwiegespaltene Beziehung
von Michael Schüle,
Die Beziehung zu ihren Lieferanten entwickelt sich für Druck- und Mediendienstleister zunehmend ambivalent. Einerseits birgt die Öffnung der eigenen Produktion in Richtung Zulieferer über digitale Schnittstellen enormes Potenzial zur Effizienzsteigerung. Andererseits kann die zunehmende Transparenz des Unternehmens sogar die Wettbewerbsposition schwächen. Was sind die zukünftigen Herausforderungen in dieser Beziehung?
Viele Herausforderungen für die künftigen Lieferantenbeziehungen resultieren aus einer prinzipiell schwachen Verhandlungsposition der Druck- und Mediendienstleister gegenüber ihren Zulieferern, die durch die oligopolistische oder gar monopolistische Marktstruktur bedingt ist. Vor allem kleine Druck- und Medienunternehmen haben in der Anbahnung von Kooperationen und beim Aushandeln von Lieferbedingungen geringe Verhandlungsmacht. Systempartnerschaften – so vorteilhaft sie in vielen Fällen auch sein mögen – können zwischen unterschiedlich starken Partnern leicht in einseitige Abhängigkeitsverhältnisse münden. Die fortschreitende Digitalisierung der Lieferantenbeziehungen begünstigt auch aus diesem Grunde die großen Unternehmen.
Insellösungen:
In Produktion und Verwaltung der Druck- und Medienunternehmen herrschen heute oft noch technische Insellösungen vor, die untereinander und nach außen nur mit hohem Aufwand oder gar nicht sinnvoll vernetzt werden können. Der Grund dafür liegt nicht selten in fehlenden oder systemseitig unzureichend unterstützten Standards. Solche Standards zu schaffen, darf aber nicht allein der Zulieferindustrie überlassen bleiben. Auch die Anwender sollten daran mitwirken (idealerweise über ihre Interessenvertretungen und in enger Zusammenarbeit mit der Zulieferindustrie), taugliche Standards für offene Produktions-, Kunden- und Lieferantenschnittstellen zu definieren – und sie müssen die Einhaltung bereits verfügbarer Standards explizit einfordern. Andernfalls bleiben sie auf die von einzelnen Zulieferern angebotenen Schnittstellenlösungen angewiesen, die oft nicht alle benötigten Daten zur Verfügung stellen oder mit anderen Systemen inkompatibel sind.
Fehlende Transparenz: Die automatisierte Kommunikation der von den Druckereien benötigten Produktdaten für Verbrauchsmaterialien setzt bei den Zulieferern die Bereitschaft voraus, diese Daten überhaupt zu erheben, bereitzustellen und fortlaufend zu aktualisieren. Diese Bereitschaft ist – beispielsweise in der Papierindustrie – heute noch nicht besonders ausgeprägt. Hierin liegt derzeit ein wesentliches Hemmnis für eine weitergehende Automatisierung der Produktion.
Allerdings unterliegen die Materialien in Druck- und Weiterverarbeitungsprozessen komplexen Wechselwirkungen, bei denen die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung zum Teil noch unbekannt sind. Diejenigen Materialparameter, die in den Labors der Zulieferindustrie zum Zweck der Qualitätssicherung gemessen werden, liefern daher für sich genommen nur begrenzte Aussagen darüber, wie sich das Material in den Druck- und Weiterverarbeitungsprozessen verhält bzw. welche Produktqualität damit realisiert werden kann. Die fortgeschrittene Digitalisierung bietet aber endlich eine realistische Chance, diese Zusammenhänge zu ermitteln, ohne dass es dazu ressourcenfressender Testreihen bedarf. Hierzu wäre es erforderlich, den Materialherstellern laufend Daten aus der Druckproduktion für eine (ggf. durch Künstliche Intelligenz unterstützte) Big-Data-Analyse bereitzustellen. Ergebnis wäre idealerweise ein geschlossener Regelkreislauf, in dem Produktionsprozesse vom Farbmanagement bis zum Leimauftrag im Klebebinder zum Beispiel anhand relevanter Papierparameter voreingestellt und gesteuert werden, wobei die produktionsbegleitend erfassten Prozess- und Qualitätsdaten wiederum dem Zulieferer Anhaltspunkte für weitere Materialoptimierungen liefern.
Ob die Maschinenhersteller entsprechende Schnittstellen für die Druckerei bzw. für Dritte öffnen, muss aus heutiger Perspektive leider bezweifelt werden. Es zeichnet sich eher ab, dass sie es sich selbst vorbehalten, die von ihnen bei ihren Kunden erhobenen Produktionsdaten ausschließlich mit den Zulieferern ihres eigenen Verbrauchsmaterialangebots auszutauschen. Das aber würde den Trend zu geschlossenen Produktionssystemen verstärken, bei denen alle Verbrauchsmaterialien vom jeweiligen Systemanbieter bezogen werden müssen.
Verlust operativer Produktionskompetenz:
Angesichts der Verlagerung von Produktions-Know-how und Prozessverantwortung von den Druck- und Mediendienstleistern auf ihre Zulieferer stellt sich unweigerlich die Frage, wer das Eigentum an den Maschinen (und den mit ihnen generierten Prozessdaten) besitzt und wer das Druckprodukt letztlich eigentlich produziert. Derzeit werden bereits Geschäftsmodelle erprobt, in denen der Betrieb der Druckmaschinen weitgehend der Verfügungshoheit des Herstellers überlassen bleibt, während die Druckerei die Auslastung der Anlage sicherstellt.
In anderen Wirtschaftsbereichen sind vergleichbare Ausprägungen der Sharing Economy bereits etabliert, man denke nur an die Car-Sharing-Angebote großer Automobilhersteller. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die Nutzung von Produkten bezahlt wird, und nicht mehr das Eigentum. Nachdem Software-as-a-Service-Angebote (SaaS) in der Druck- und Medienindustrie längst angekommen sind, könnte Hardware-as-a-Service (HaaS) der nächste Trend werden.
Eine Druckerei ist dann aber nur ein möglicher Standort für eine solche Maschine. Da für den Betrieb nur noch wenig operatives Prozess-Know-how benötigt wird, kann sie genauso gut beim bisherigen Druckereikunden stehen, der – eine ausreichende Auslastung vorausgesetzt – durch die Integration in seine eigene Prozesskette Zeit- und Effizienzvorteile gewinnt. Die Frage des Insourcings von Druck (etwa in einer Hausdruckerei oder als Aggregat innerhalb einer industriellen Fertigungsstrecke) wird unter dieser Voraussetzung mehr und mehr zu einem reinen Rechenmodell.
Hält man sich vor Augen, dass dem Systemhersteller beispielsweise für das Eintakten von Wartungsarbeiten auch die Kapazitätsplanungen einer Vielzahl von Druckereien vorliegen, benötigt man wenig Phantasie, um sich auszumalen, dass er auch als Makler von Aufträgen auftreten könnte, der das jeweils wirtschaftlichste Aggregat mit freier Kapazität auswählt. Bis zum nächsten Schritt der Vorwärtsintegration, Druckdienstleistungen (eventuell ortsverteilt und/oder durch Partnerunternehmen) eigenständig anzubieten, wäre es dann nur ein kleiner Schritt.
Intensivierung des Wettbewerbs:
Zwar ist je nach Fertigungstiefe und Komplexität des Dienstleistungsangebots der Druckerei der Zugriff eines Maschinenherstellers in der Regel auf einen mehr oder minder großen Teil der Produktionsdaten begrenzt. Als Systempartner einer Vielzahl von Druckereien verfügt er aber über einen gewaltigen Datenschatz, der seinen Wert nicht nur im bilateralen Verhältnis zu derjenigen Druckerei entfaltet, bei der die Daten jeweils erhoben wurden. Mittelbar kommen die Daten auch allen übrigen an das System angeschlossenen Druckereien zugute, die entsprechende Beratungs- und Optimierungsdienstleistungen des Herstellers in Anspruch nehmen. Damit beschleunigt sich die Wettbewerbsintensität zwischen den teilnehmenden Druck- und Mediendienstleistern weiter, während die übrigen Gefahr laufen, abgehängt zu werden.
Auch cloudbasierte Softwarelösungen, die in vielen Bereichen inzwischen nahezu alternativlos sind (zum Beispiel Gestaltungs- oder ERP-Systeme auf SaaS-Basis) schaffen eine Datentransparenz, die durch den jeweiligen Anbieter prinzipiell in unerwünschter Weise ausgenutzt werden kann. [9893]
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