Es geht ums Lesen. Es geht um Kommunikation. Es geht darum, es dem Leser leicht zu machen und ihn nicht anzustrengen, jedenfalls nicht mehr als nötig. Gute Typografie räumt diejenigen Stolpersteine aus dem Weg, von denen man als Leser möglichst gar nicht wissen sollte, dass es sie gibt.
Kurt Weidemann, vermutlich einer der prägendsten Grafikdesigner und Typografen des 20. Jahrhunderts, hat einmal gesagt „Typographie ist eine Dienstleistung. Die Kunst dabei ist vor allem, von sich selbst weitgehend absehen zu können, sich nicht zwischen Autor und Leser zu drängen. Schriftkunst ist anonym; sie hat ihre Kenner, aber sie hat kein Publikum.“
Dessen Kollegen, Hans Peter Willberg und Friedrich Forssmann, stellten wiederum in ihrem Werk „Lesetypografie“ fest: „Die Typografie gibt es gar nicht. Jede Aufgabe verlangt andere Lösungsmethoden. Allgemeingültige Regeln kann es gar nicht geben.“ Schilder sollen den richtigen Weg weisen. Im Zeitungsartikel muss das Wesentliche schnell erfassbar sein, während in der Zeitschrift das Auge immer wieder an bestimmten Seiten hängen bleiben soll. Formulare müssen klar sein, soviel steht fest. Dekorative Typografie dagegen darf schön sein, auch wenn die Lesbarkeit auf der Strecke bleibt. Und wenn Design in der Typografie zum Selbstzweck wird, gelten ohnehin keine Regeln mehr.
“Typografie … ist viel mehr als die Auswahl einer passenden Schrift.”
Regeln in der Typografie gibt es zwar – und gerade in der Buchtypografie beruhen sie auf Jahrhunderte langer Lesererfahrung – wie sklavisch sich jedoch die Buchgestalter und Typografen daran halten sollten, wird immer wieder neu diskutiert und immer wieder neu bewertet. Vermutlich ist es auch hier so, dass es die Buchtypografie gar nicht gibt und die kanonischen Regeln mal gelten und mal nicht.
Nach Ansicht von Willberg und Forssmann ist die Art, wie gelesen wird, der Maßstab für die Buchgestaltung – und keine überkommenen typografischen Traditionen.
Ist das Buch beispielsweise ein Roman, der linear, Zeile für Zeile gelesen wird, um die ganze sprachliche Raffinesse zu erfassen, muss der Typograf dies bei der Konzeption bereits mitdenken. Dann darf die Schrift nicht zu klein sein, damit sie auch bei einem tiefer gehaltenen Buch die Augen nicht zu sehr anstrengt. Dann sollte auch der Papierrand nicht zu schmal sein, weil sonst, wenn auch unbewusst, immer noch die Umgebung mit wahrgenommen wird – und vom Lesen ablenkt. Auch zu lange Zeilen oder ein enger Zeilenabstand machen dem Auge das Lesen schwer. Insgesamt bekommt der Leser eine geschlossene Textfläche präsentiert, mit einer Schriftgröße zwischen 8 und 11 Punkt, 60 bis 70 Zeichen pro Zeile und 30 bis 40 Zeilen pro Seite. Das nur so als Richtschnur.
“Die Art, wie gelesen wird, ist der Maßstab für die Gestaltung des Buchs.”
Will man ein Buch dagegen eher quer lesen, einfach nur die Seite „scannen“, bis man an der Stelle, die einen wirklich interessiert, hängenbleibt, wäre die geschlossene Textfläche kontraproduktiv. Hier kommt es vielmehr auf eine gute Gliederung der Textmenge an, die in nicht zu große Häppchen unterteilt werden sollte. Wichtig sind hervorstechende Zwischenüberschriften, gut gekennzeichnete Absätze und ein Schriftgrad, der tendenziell ein bisschen größer ist. Oft wird für diese Art Buch auch der mehrspaltige Satz gewählt, um überschaubare Informationseinheiten zu schaffen. Sachbücher oder Ratgeber sind die Klassiker dieses so genannten informierenden Lesens.
Neben diesen beiden Arten zu lesen, unterscheidet man aber noch das konsultierende Lesen wie beispielsweise für Lexika, das selektierende Lesen, das zum Beispiel bei Schulbüchern zum Tragen kommt und noch einige mehr.
Doch neben der inhaltlichen Funktion des Buches, hat auch das physische Erscheinungsbild des Werks Auswirkungen auf die Typografie. Wie viele Seiten hat das Gesamtwerk? Kommt da am Ende ein dicker Wälzer heraus, der sich kaum halten lässt, oder ein schmales Bändchen, bei dem man fast Seiten schinden muss? Auf welches Papier wird gedruckt? Soll es ein fadengeheftetes Hardcover mit weichem Aufschlagverhalten sein, das offen bleibt, wenn man es aufgeschlagen hinlegt oder ist es ein klebegebundenes Paperback, bei dem mindestens fünf Millimeter der Seite im Bund verschwinden?
Wer sich beispielsweise Juli Gudehus’ „Lesikon der visuellen Kommunikation“ zu Gemüte führen will, hat es zum einen – zumindest augenscheinlich – mit einem Lexikon zu tun. Das zeigt schon der zweispaltige Satz, die übersichtliche Gliederung nach Stichworten, die relativ kleine, und doch gut lesbare Schrift sowie die ziemlich vollgepackten Seiten zeigen. Er hat es aber auch mit einem Wälzer zu tun, der um die 3000 Seiten umfasst, gedruckt auf durchscheinendem Bibeldruckpapier mit gerade 32 g/qm, und über zwei Kilogramm wiegt. Und auch diese physikalische Herausforderung für den Leser will typografisch bewältigt werden (was der Berliner Designerin Juli Gudehus mit Bravour gelungen).
So ist zum Beispiel der Satzspiegel so gewählt, dass trotz der Unmenge an Seiten kein Text im Bund verschwindet. Als Schrift entschied sich Gudehus für die 2011 erschienene Lemon des Schriftgestalters Jürgen Huber, eine Schriftenfamilie, zu der sowohl eine Serifenschrift als auch eine Groteske existiert und die trotz ihres geringen Schriftgrads sehr gut lesbar ist. Selbst die winzigen Quellenangaben – und der Groteske gesetzt – sind, wenn auch mit Mühe, mit dem bloßen Auge erkennbar.
“Es gibt Klassiker der Buchschrift, die immer wieder gern genommen werden.”
Und welche Schriften werden idealerweise eingesetzt? Die klare Antwort kann nur lauten: Es kommt darauf an. Sicher gibt es Klassiker der Buchschrift, die immer wieder gern genommen werden.
Die Garamond gehört dazu, eine Antiqua, die auf den französischen Schriftgießer und Typografen Claude Garamond (1480-1561) zurückgeht. Er war Schüler des Pariser Humanisten, Graveurs und Typographen Antoine Augereau, der 1534 in Paris auf dem Place Maubert von der katholischen Inquisition auf dem Scheiterhaufen mit seinen Büchern verbrannt worden war.
Auf die Garamond geht auch die ebenfalls gerne als Buchschrift verwendete Sabon zurück. Der Typograf Jan Tschichold hat sie 1967 als Auftragsarbeit für D. Stempel, Linotype und Monotype entworfen und dafür die Garamond neu interpretiert. Zwischen 2002 und 2008 hat der französische Schriftgestalter Jean François Porchez die Schrift noch einmal grundlegend überarbeitet und sie in diesem Zusammenhang auch deutlich erweitert.
Ein bisschen spezieller ist schon die Electra von William Addison Dwiggins, der sie in den 1930er-Jahren entwickelt hat. Über 75 Jahre später hat der Schrift-Designer Jim Parkinson die Electra noch einmal aufgegriffen. In seiner Parkinson Electra ist gegenüber dem Original die Laufweite deutlich reduziert, zudem ist sie leicht fetter gestaltet, die Rundungen sind etwas weicher ausgeführt.
Das sind nur drei kleine Beispiele aus der Fülle von weit über 100 Möglichkeiten. Die Auswahl fällt je nach persönlichem Gefallen, aber auch nach Kriterien wie Laufweite, Zurichtung sowie den verfügbaren Schriftschnitten und Sonderzeichen.
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